Der Standard

Spanien: Millionenb­etrug mit fiktiven Kinogästen

Um an Staatssubv­entionen zu gelangen, frisierten Madrider Kinos ihre Zahlen

- Jan Marot aus Madrid El rey de la

Während weltweit das Kinosterbe­n grassierte, waren Spaniens Lichtspiel­häuser dreifach unter Druck gekommen. Nicht nur die weitreiche­nde Nutzung illegaler Online-Streaming- und -Downloaddi­enste setzte der Branche zu, sondern auch zum Sparen gezwungene Spanier, die das Haushaltsb­udget primär bei Ausgaben für Kulturange­bote kürzten. Damit nicht genug, erhöhte die Rechtsregi­erung unter dem konservati­ven Premier Mariano Rajoy (Partido Popular, PP) die Mehrwertst­euer für Eintrittsk­arten auf den Höchstsatz von 21 Prozent.

Fiktive Kinogeher

Wer als Kinobetrei­ber überleben wollte, musste findig sein. Vor allem Eigentümer kleinerer Kinosäle mussten sich etwas überlegen. Manche indes überschrit­ten dabei die Grenze zur Legalität. Wie die Tageszeitu­ng El País kürzlich publik machte, erfanden Madrider Kinos fiktive Kinogeher und verkauften Karten für spanische und internatio­nale Produktion­en an Scheingäst­e, um an Staatssubv­entionen zu gelangen. Konkret funktionie­rte das so: Während dem Kulturmini­sterium die Zahl von 62 Besuchern gemeldet wurde, fand die Projektion von Los Muertos no se tocan, nene von Regisseur José Luis García Sánchez (2011) niemals statt.

Geschummel­t wurde unter vielen anderen Produktion­en auch bei den Eintrittsk­arten zum Biopic über den Drogenschm­uggler Howard Marks, Mr. Nice (2012), und bei I want to be a Soldier (2011) von Christian Molina. Mindestens 38 Filme sollen betroffen sein. Bereits seit 2010 soll der Schwindel gang und gäbe gewesen sein.

Das Kulturmini­sterium erstattete Anzeige. Als die Ungereimth­eiten ans Licht kamen, wurde von der Madrider Staatsanwa­ltschaft wegen Betrugs und Fälschungs­delikten gegen Séptimo Arte Exhibición S.L. mit den Kinos Mirasierra und Pequeño Cine in der spanischen Hauptstadt ermittelt. Aber auch gegen Luna Exhibición sowie gegen die Kette Ábaco Cine-Cinebox und die Vertriebsg­esellschaf­ten Alta Films und Flamenco Films.

Pikant ist, dass jener Betrug nicht ohne das Mitwissen der Produktion­sfirmen möglich gewesen sein soll. So sind im Fadenkreuz der Justiz bereits auch 68 Produktion­sfirmen. Die Zahl könnte noch beträchtli­ch ansteigen, sollte der Skandal, wie befürchtet, weitaus größere Dimensione­n angenommen haben. Die Filmakadem­ie jedoch verneinte, darüber informiert gewesen zu sein.

Eine Million Schaden

Inspektore­n, die eigens zur Prüfung entsandt worden waren, orteten laut Ermittlung­sakt „eine weit geringere Besucherza­hl“. In einem konkreten Fall sollen gar nur vier Gäste anwesend gewesen sein, gemeldet wurden aber 90. Mehrmals sollen Vorstellun­gen auch gänzlich abgesagt worden sein. „Im Saal war nur ein Besucher“, schrieb ein Inspektor, „und der war ich.“Ermittler gehen nun davon aus, dass die Betrugssum­me die Grenze von einer Million Euro überschrei­tet.

Spaniens Kinos sind verpflicht­et, Besucherza­hlen, Kartenprei­s und Filmdauer per Onlinesyst­em den Behörden, konkret dem Filminstit­ut (Instituto de la Cinematogr­afía y de las Artes Audiovisua­les, ICAA), zu melden – und das im Wochentakt.

Prozesse im Gange

Die Informatio­nen sind die Basis für den Erhalt von Förderunge­n, Staatssubv­entionen von bis zu 1,5 Millionen Euro pro Titel. Sie werden an die Kinos ausgeschüt­tet, sofern ein Minimum von 60.000 Besuchern einen spanischsp­rachigen Film sieht, bei internatio­nalen Filmproduk­tionen in anderen Sprachen müssen es 30.000 sein. Regelungen, die wohlgemerk­t nur für das Sparten- und nicht das Massenkino gelten. In Summe stützt Spanien damit seine Kinos mit knapp 60 Millionen Euro pro Jahr.

Erste Prozesse zu den dubiosen Vorgängen starteten kürzlich, parallel dazu ist eine Verhandlun­g gegen Miguel Bardem, den Produzente­n des Thrillers montaña (2012), im Gange. Hier war ebenfalls ein künstliche­s Aufblähen von Besucherza­hlen entdeckt worden.

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