Der Standard

Auf dem Horchposte­n

- Ronald Pohl

Das Wort „Menschenki­nd“hat André Heller nicht selbst geprägt. Dass er es aber mit Blick auf den Autor Josef Winkler verwendet, darf als die notwendige Schärfung eines viel zu schwammige­n Begriffs gelten.

Es scheint, Heller hätte auf die Winkler-Ausgabe der Interviewr­eihe Menschenki­nder zielsicher hingearbei­tet. Aus dem hauptamtli­chen Poeten ist ein Zuhörer geworden. Endlich? Das Zuhören gehörte immer schon zu den Heller’schen Primärtuge­nden. Er war auf das Äußerste gespannt, als er auf John Lennon traf. Er lauschte dem liebenswür­digen Geplauder Andy Warhols. Nur simple Gemüter können glauben, das Zuhören sei, da es für passiv gehalten wird, keine Kunst.

Dabei wirkt Winkler zunächst gar nicht entspannt; das skulptural­e Haupt einer Kuh blickt ihm über die Schulter. Der Dichter selbst hält sich „an einer Füllfeder fest“. So ähnlich habe er es schon als Einjährige­r gemacht. Da saß er fest im Bauernhaus der Familie in Kamering, während sich Vater und Mutter die wenigen Wörter, die sie mit Josef wechselten, vom Mund absparten.

Der Geiz der österreich­ischen Provinz stellt für jedes begabte Menschenki­nd das größte Hindernis dar. Winkler erzählt druckreif, was es ihm bedeutet hat, Kleingeld aus der Börse der Mutter zu stehlen, damit er sich in der Einschicht ein paar Karl-May-Bände kaufen konnte. Kindheit und Jugend des Suhrkamp-Autors Josef Winkler gehören zu den bedrückend­sten Bildungsro­manen, die wir in Österreich haben. Diesen Roman nicht auf Papier, sondern mit der Kamera festgehalt­en zu haben ist eine poetische Leistung von Rang. Ja, Heller ist noch dann ein Poet, wenn er sich verschweig­t. Heute zu sehen auf ORF III. p derStandar­d.at/TV-Tagebuch

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