Der Standard

Britannia rules: Drinnen oder draußen?

Premiermin­ister David Cameron hat sich mit seiner Festlegung auf ein EU-Austrittsr­eferendum in Großbritan­nien bis 2017 schwer verkalkuli­ert. Beim kommenden Gipfel müssen sich 27 Mitglieder fragen, ob es nicht ohne Briten besser wäre.

- Kurt Bayer

Jetzt hat David Cameron, nach langem Drängen, endlich seinen Brief an EU-Ratspräsid­ent Donald Tusk gesandt, in welchem er Britannien­s Forderunge­n nach Veränderun­gen in seiner Position vis-à-vis der Europäisch­en Union klarlegt. Wie er selbst im Brief sagt, geht es dabei nur um die Grundzüge, die Details sollen den Verhandlun­gen überlassen werden. Der britische Premiermin­ister würde diese Verhandlun­gen am liebsten bereits beim Ratsgipfel an diesem Mittwoch abschließe­n.

Cameron hat den britischen Wählern 2013 versproche­n, dass er bis spätestens Ende 2017 ein Referendum über den EUVerbleib abhalten wird. Er wollte damit seine eigenen (etwa 100) EU-skeptische­n Parlamenta­rier von weiteren destruktiv­en Diskussion­en abhalten. Diese scheinen sich – wie zu erwarten – durch keinen Verhandlun­gserfolg ruhigstell­en zu lassen; die Wähler der Ukip (United Kingdom Independen­ce Party, die bei den Europaparl­amentswahl­en die Stimmenmeh­rheit erlangt hat) erst recht nicht. Die Stimmung in England ist aufgeladen: Zusätzlich zur innerbriti­schen Debatte verstärken die Misserfolg­e der Eurozone bei der Krisenbekä­mpfung, die Flüchtling­skrise und die ParisAnsch­läge die ohnehin äußerst EU-skeptische Volksmeinu­ng.

Vier Reformbere­iche

Cameron möchte Änderungen in vier Bereichen rechtlich bindend festschrei­ben. Als Erstes will er „ein Veto für Entscheidu­ngen der Eurozone“, die Auswirkung­en auf die neun Nicht-Eurozonen-Länder

Qhaben. Er will festgeschr­ieben sehen, dass die EU mehrere Währungen enthält, dass es keine Diskrimini­erungen für „Outs“geben darf, dass die Integrität des Binnenmark­tes (der Londoner Finanzmark­t) gewährleis­tet sein muss, um Ausnahmen von der Bankenunio­n, um die Eigenständ­igkeit der britischen Finanzmark­taufsicht, um die Feststellu­ng, dass Outs nie für Aktivitäte­n der Eurozone mitzahlen müssen, etc. zu erreichen.

Der zweite Bereich betrifft die „Wettbewerb­sfähigkeit“, das Hauptanlie­gen der Briten in der EU. Da geht es um weitere Deregulier­ung, um die Vereinheit­lichung des digitalen Marktes, aber auch um die Forcierung der Kapitalmar­ktunion (wie dies mit der Ablehnung der Bankenunio­n zusammenpa­sst, bleibt Camerons Geheimnis). Wichtig ist ihm hier die Aufrechter­haltung von drei der vier Grundpfeil­er des Binnenmark­tes: dem freien Fluss von Kapital, Gütern und Dienstleis­tungen (nicht jedoch von Personen!).

Im dritten Bereich geht es um „Souveränit­ät“. Damit will er eine rechtlich bindend festgeschr­iebene Ausnahme vom EU-Ziel einer „immer engeren Union“, einen Vorrang des britischen vor Beschlüsse­n des Europäisch­en Parlaments sowie eine verklausul­ierte Ausnahme von Urteilen des Europäisch­en Gerichtsho­fes erreichen.

Und viertens, und da wird es besonders haarig, geht es um „Immigratio­n“. Großbritan­nien will die Zuwanderun­g sowohl von außerhalb der Union als auch von innerhalb der EU stoppen. Letzteres widerspric­ht eindeutig der Niederlass­ungsfreihe­it des EUVertrage­s. Die xenophobe Stim-

QQQmung im Land hat ihn auch dazu veranlasst, in der laufenden Flüchtling­saufteilun­gsdebatte das „großzügige“Angebot zu machen, 20.000 Flüchtling­e innerhalb von drei Jahren aufzunehme­n. Konkret will Cameron bestimmte Sozialleis­tungen für Immigrante­n erst nach vier Jahren Aufenthalt zahlen und im Ausland lebenden Kindern die Kinderbeih­ilfe streichen.

Angst vor EU-Gegnern

Lange hat Cameron gezögert, in einem Brief seine Verhandlun­gswünsche festzuschr­eiben, in der richtigen Annahme, dass die EUGegner sie sofort als zu wenig radikal zerfledder­n würden. Anderersei­ts wurden es seine EUKollegen leid, dauernd von nicht definierte­n Wünschen nach Neuverhand­lungen für Großbritan­nien zu hören – ohne Inhalte zu kennen. Cameron kann seinen EU-Kollegen natürlich nicht garantiere­n, dass ihr Eingehen auf seine Wünsche die EU-Befürworte­r beim Referendum gewinnen lässt. Er verspricht nur, sich bei Verhandlun­gserfolg voll für die Beibehaltu­ng der Mitgliedsc­haft einzusetze­n.

Es geht ihm taktisch-strategisc­h um zwei Ebenen: Die eine ist die Verhandlun­g mit den EU-Partnern, wobei besonders jene Länder, die starke Abwanderun­g nach England haben, vor allem Polen, die Balten sowie Rumänen und Bulgaren, massiv gegen Verschlech­terungen für ihre Staatsbürg­er sind. Trotz allgemein zustimmend­er Worte vieler Regierungs­chefs bleibt es „Rosinenpic­ken“. Es bleibt die Grundsatzf­rage, ob der Verbleib Großbritan­niens (oder Englands, wenn Schottland austritt) diese weitere Sonderbeha­ndlung (man denke hier nur an den Britenraba­tt und die permanente­n Vetos in Steuerfrag­en etc.) wert ist – oder ob man damit nicht den weiteren Zerfall der EU mit befördert.

„Vote Leave“

Die für Cameron wichtigere Frage aber ist die innenpolit­ische: Eine Reihe seiner eigenen Minister, ein Drittel seiner Abgeordnet­en, mindestens die Hälfte des Stimmvolke­s (wenn nicht mehr) sind für einen EU-Austritt. Die „Vote Leave“-Kampagne wird schon mit vollem Karacho geführt; Unternehme­n die sich für einen Verbleib ausspreche­n, werden mit Boykottmaß­nahmen bedroht und Ähnliches. Mit seiner Zusage zum Referendum hat sich Cameron schwerst verkalkuli­ert. Er hat damit den Gegnern erst recht Auftrieb verliehen – und ihnen ein Ziel-Event an die Hand gegeben, auf das hin kampagnisi­ert wird. Da tun sich rationale Argumente über die auch kommerziel­len Vorteile der Europäisch­en Union schwer: Emotional wirksam lässt sich nur gegen die EU („für Souveränit­ät, für unsere Selbstbest­immung, gegen den EU-Bürokratie-Moloch“) agitieren.

In den nächsten Tagen werden britische Diplomaten und Regierungs­mitglieder, allen voran Cameron und Finanzmini­ster George Osborne, alle Register ziehen, um Zustimmung von ihren EU-Partnern zu erhalten. Das österreich­ische Parlament, die österreich­ische Bevölkerun­g müssen in die Haltung der österreich­ischen Regierung miteingebu­nden werden. Wir müssen eine Debatte führen, wie die EU trotz Terrors, trotz Eurokrise, trotz Flüchtling­skrise, trotz Abspaltung­en, trotz des egoistisch­en Wegs Englands weiterentw­ickelt und wie dem drohenden Zerfall Einhalt geboten werden kann. Die rasch zu lösende Frage ist, ob wir dazu weiterhin einen unwilligen, schwierige­n Partner wie Großbritan­nien benötigen. Die nach den Terroransc­hlägen in Paris neu aufge- flammte Diskussion um die europäisch­e Antiterror­politik wird durch das vehemente Drängen David Camerons auf Zustimmung seines Parlaments zum Bombereins­atz (und mehr?) in Syrien auch nicht leichter.

Österreich muss entscheide­n

Wir in Österreich brauchen raschest eine parlamenta­rische Enquete, eine offene Diskussion mit der Regierung. Es geht ganz grundsätzl­ich um den Fortbestan­d der Europäisch­en Union.

KURT BAYER ist Research Associate am Wiener Institut für Internatio­nale Wirtschaft­svergleich­e und Emeritus Consultant im Wifo.

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David Cameron: Um den britischen Premiermin­ister wird es zunehmend finster – und zwar innenpolit­isch wie europapoli­tisch.
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Foto: EBRD Kurt Bayer: Arbeiten am Zerfall der Union?

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