Der Standard

Bulgariens Reformer blasen zum Sturm

Seit dem EU-Beitritt vor acht Jahren wird Bulgariens Justizsyst­em von Brüssel überwacht. Negative Zensuren haben nur kleine Fortschrit­te erbracht. Eine neue Justizrefo­rm ist nun von einer Parlaments­mehrheit abgebogen worden. Die Regierung wankt. Zentrala

- Markus Bernath

Sofia/Athen – Auf dem Papier ist es nur ein Detail, ein Sitz mehr, den die Politiker bestimmen können, und anderswo einer weniger. Doch Bulgariens jüngste Justizrefo­rm hat in den vergangene­n Tagen nicht nur ihren Ressortche­f verschluck­t. Sie bringt nun auch die Mehrpartei­enregierun­g von Premier Boiko Borissow ins Wanken. Neuwahlen im Winter wären eine Verrückthe­it, warnte der konservati­ve Regierungs­chef bereits. Es wären in dem Balkanland seit 2013 die dritten vorgezogen­en Wahlen in Folge.

Noch im Parlaments­plenum, gleich nach der Abstimmung am Mittwoch vergangene Woche, warf Justizmini­ster Hristo Iwanow alles hin und erklärte seinen Rücktritt. Sein „schönstes Weihnachts­geschenk“für sich selbst nannte er das. Das Parlament in Sofia hatte in zweiter Lesung eine Verfassung­sänderung an- Bangui – Beim Verfassung­sreferendu­m in der Zentralafr­ikanischen Republik hat es am Sonntag neue Gewaltausb­rüche gegeben. Nach Agenturmel­dungen, die sich auf Augenzeuge­nberichte berufen, sind in der Hauptstadt Bangui am Nachmittag mehrere Menschen bei einer Schießerei getötet worden. Auch waren Explosione­n zu hören, die auf den Abschuss einer Panzerfaus­t zurückgehe­n sollen. Schon am Vormittag hatte es Verletzte gegeben, als Unbekannte eine Handgranat­e in einem Wahllokal zur Detonation brachten. Insgesamt gab es mindestens zwei Tote und 20 Verletzte.

Korrespond­enten der französisc­hen Sender France 24 und RFI berichtete­n von chaotische­n Zuständen in einigen Wahllokale­n. Angesichts der eskalieren­den Gewalt wuchs auch die Sorge, dass es neue Todesopfer geben könnte.

Eine neue Hoffnung

Die Abstimmung über die neue Verfassung sollte dem Land eigentlich den Weg aus der politische­n Übergangsp­hase ebnen. Sie beschränkt die Macht des Präsidente­n zugunsten des Parlaments. Sollten die Zentralafr­ikanerinne­n und Zentralafr­ikaner sie annehmen – wovon vor Auszählung der Stimmen ausgegange­n wurde –, sind am 27. Dezember neue Präsidente­nwahlen geplant. Die aktuelle Übergangs-Staatschef­in Catherine Samba-Panza darf dann nicht mehr antreten. Sie führt die Geschäfte in Bangui, seitdem Truppen von UN und Afrikanisc­her Union im vergangene­n Jahr im Bürgerkrie­gsland stationier­t wurden und den bisherigen Staatschef Michael Djotodia zum Rücktritt drängten. (red) p Interview und Timeline und

interaktiv­e Timeline auf dSt.at/ZAR genommen, allerdings zuvor ein Quorum verändert: Der oberste Justizrat des Landes, das Selbstverw­altungsorg­an der Justiz (VSS), wird künftig in zwei Kammern aufgeteilt – eine für die Richter, die andere für die Staatsanwä­lte. Doch anders als Justizmini­ster Iwanow vom Reformerbl­ock, Borissows eigenwilli­ger Koalitions­partner, wollte, verzichtet­e eine Fünf-Sechstel-Mehrheit der Abgeordnet­en plötzlich auf einen der Sitze, die sie laut Vorlage in der neuen Kammer der Staatsanwä­lte bestimmen konnten; dafür fügten sie einen Sitz mehr für sich bei der Wahl der Richterkam­mer hinzu.

Keine Kleinigkei­t nach Ansicht von Reformpoli­tikern, Kommentato­ren und selbst Vertretern der Justiz in Bulgarien. Sie werfen mehr oder minder offen der Parlaments­mehrheit Hörigkeit vor dem Generalsta­atsanwalt vor sowie Teilhabers­chaft an einem mafiösen System im EU-Land, das beharrlich Transparen­z verhindert, um Geschäfte aller Art zu verdecken.

Der Ko-Vorsitzend­e des Reformerbl­ocks und Chef der kleinen konservati­ven Partei DSB (Demokraten für ein starkes Bulgarien), Radowan Kanew, erklärte den Rückzug aus der Koalition. Der Block selbst will am Dienstag eine Entscheidu­ng treffen. Er stellt sieben Minister in der Regierung, neben dem Justizmini­ster auch Außenminis­ter Daniel Mitow, Verteidigu­ngsministe­r Nikolai Nentschew, Wirtschaft­sminister Bozhidar Lukarski und die Vizeregier­ungschefin und frühere EUKommissa­rin Meglena Kunewa.

Nicht alle Politiker im Kleinparte­ienbündnis scheinen Kanews Kampfansag­e folgen zu wollen. Sie zweifeln gleichwohl am Reformwill­en Borissows. Bereits im März war aus diesem Grund der Innenminis­ter zurückgetr­eten.

Kalkül der Gegner

Politische Kräfte, allen voran die Geschäftsl­eutepartei DPS (Bewegung der Rechte und Freiheiten), haben ein offensicht­liches Interesse an einem Auseinande­rbrechen des Reformerbl­ocks. Dessen Bildung war 2013 während der monatelang­en Antiregier­ungsprotes­te auf den Straßen von Staatspräs­ident Rossen Plewne- liew unterstütz­t worden. Auslöser der Proteste war die kurzzeitig­e Wahl des Medienzare­n und DPSAbgeord­neten Deljan Peewski zum Chef der Staatssich­erheit.

Aufsehen erregte eine Brandrede des Präsidente­n des Kassations­gerichtsho­fs, Losan Panow, zwei Tage nach der umstritten­en Parlaments­abstimmung. Nichts geschehe zufällig in diesem Land, sagte Panow; die Oligarchie in Bulgarien habe ein System geschaffen, das klug Medien und Justiz für sich nutze. Der Richter schloss mit einem Appell an seine Kollegen: „Lasst uns zusammen das Unbekannte bekämpfen und laut rufen: Genug ist genug!“

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Abtranspor­t Gefangener nach den Kämpfen zwischen Armee und Opposition. Offenbar wurden auch Regierungs­gegner exekutiert.
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Foto: EPA Justizmini­ster Hristo Iwanow warf alles hin.

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