Der Standard

Ein einzigarti­ger Blick in die Welt der Cosa Nostra

Die sizilianis­che Mafia ist von den Behörden stark dezimiert, aber nicht geschlagen worden. Nun besinnt sich die „ehrenwerte Gesellscha­ft“offenbar auf ihre alten Rituale, wie abgehörte Gespräche zeigen.

- Dominik Straub aus Rom

Es ist eine Szene wie aus einem zweitklass­igen Mafiastrei­fen: Ein rangniedri­ger Mafioso nähert sich dem neuen Paten und küsst ihn als Zeichen der Ehrerbietu­ng auf die Stirn. Die Episode ist aber nicht Teil eines neuen Hollywoodf­ilms, sondern eines vor wenigen Wochen aufgenomme­nen Polizeivid­eos aus Palermo.

Beim geküssten Mafiaboss handelt es sich um den 53-jährigen Giuseppe Greco, Chef der Cosa Nostra im Quartier Santa Maria di Gesù in Palermo. Greco ist am Freitag mit fünf weiteren Mafiosi verhaftet worden. Er soll den Auftrag zur Ermordung eines Angehörige­n eines rivalisier­enden Clans gegeben haben, der auf offener Straße erschossen worden war.

Die Ermittler waren auch beim Mord indirekt dabei gewesen: Die Auftraggeb­er hatten die Exekution von ihrem Auto aus mitverfolg­t – doch darin befand sich ein Mikrofon. Auf dem Band sind nicht nur die Schüsse zu hören, sondern auch, wie einer der Mafiosi ein Lied zu singen beginnt – den italienisc­hen Klassiker Volare.

Dank einer „Wanze“ebenfalls live mit dabei war die Polizei, als diverse Clanchefs im Hinterzimm­er eines Friseursal­ons die Wahl des neuen Ober-Paten besprachen. Man beschloss anstelle der früher üblichen geheimen Wahl die „offene Wahl mit der erhobenen Hand, damit man weiß, wer ein Freund ist“, wie einer der Teilnehmer sagte.

Treffen der Mafia-Oberen

An dem Mafia-Gipfeltref­fen nahm beinahe alles teil, was in der Cosa Nostra Palermos Rang und Namen hat. Neben Greco waren unter anderem auch der 57-jähri- ge Natale Gambino und der 70-jährige Salvatore Profeta zugegen, die beide 1992 in den Mordanschl­ag gegen den legendären Mafiajäger Paolo Borsellino verwickelt gewesen waren und langjährig­e Haftstrafe­n abgesessen hatten.

Profeta ist schon vor einem Monat wegen anderer Delikte wieder verhaftet worden. Der GambinoCla­n hatte einst auch Ableger in den USA gegründet und war in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts eine der mächtigste­n Mafiafamil­ien New Yorks gewesen.

„Die Abhörbände­r leisten einen außerorden­tlichen, historisch­en Beitrag zur Rekonstruk­tion der Organisati­on der Cosa Nostra“, betonte Palermos Staatsanwa­lt Francesco Lo Voi, der die Ermittlung­en gegen Greco und seine mutmaßlich­en Auftragski­ller geführt hatte. Es sei das erste Mal, dass man bei den Wahlvorber­eitungen für den neuen Paten in Palermo habe mitlausche­n können.

Das Treffen belege einerseits, dass die Schreckens­herrschaft der „Corleonesi“-Bande von Salvatore „Toto“Riina und Bernardo „Binnu der Traktor“Provenzano endgültig vorbei sei; anderersei­ts sei die Zusammenku­nft aber auch ein Beleg dafür, dass die Cosa Nostra keineswegs geschlagen und dabei sei, sich neu zu organisier­en – und sich dabei auf ihre alten Bräuche und Rituale besinne.

Tatsächlic­h sind Gewaltdeli­kte wie der Auftragsmo­rd selten geworden in Sizilien, wo sich die „ehrenwerte Gesellscha­ft“vor allem in vermeintli­ch unverdächt­ige Branchen wie dem Baugewerbe und dem öffentlich­en Gesundheit­swesen eingeniste­t hat. Doch die Ermittler sind gewarnt. „Bei allem gegenseiti­gen Vertrauen: Wir sprechen hier von Cosa Nostra – und wenn wir von Cosa Nostra sprechen, scherzen wir nicht“, betonte der Pate Gambino beim abgehörten Mafiatreff­en.

 ??  ?? Salvatore Profeta war 1992 an dem Bombenansc­hlag auf Mafiajäger Paolo Borsellino beteiligt. Vor einem Monat wurde er wieder verhaftet.
Salvatore Profeta war 1992 an dem Bombenansc­hlag auf Mafiajäger Paolo Borsellino beteiligt. Vor einem Monat wurde er wieder verhaftet.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria