Der Standard

„Die Reinheit ist die Hälfte des Glaubens“

Präsident der Islamische­n Glaubensge­meinschaft, über seine Besuche in Kindergärt­en, das drohende Höllenfeue­r und überzogene Beobachtun­gsgebote an den Wiener Schulen.

- Nina Weißenstei­ner

INTERVIEW: Standard: Angesichts der Debatte um muslimisch­e Kindergärt­en in Wien sollen die Betreuungs­einrichtun­gen nun in einer Studie „flächendec­kend“untersucht werden. Ist das in Ihrem Sinne, oder lehnen Sie das wie strengere Kontrollen weiterhin als „unmenschli­ch“ab? Sanaç: Ich bleibe dabei: Was ich mit „unmenschli­ch“konkret gemeint habe, ist, dass in einem demokratis­chen Land auf bestimmte Ethnien nicht mit dem Finger gezeigt werden darf. Auch wenn Bürger nach ihrem Glauben definiert und demnach behandelt werden, ist das für mich unmenschli­ch – und entspricht einer Aufhetzung. Denn alle müssen vor dem Gesetz gleich sein.

Standard: Aber was, wenn es in manchen Kindergärt­en tatsächlic­h salafistis­che Einflüsse gibt: Die gehören doch sofort abgestellt? Sanaç: Seit Jahren sage ich, dass wir für alle Kritik offen sind – und dass wir auch nichts zu verbergen haben. Falls Mängel auftreten, dann soll ein Kindergart­en dafür auch die Konsequenz­en tragen.

Standard: Nicht wenige muslimisch­e Kindergärt­en in Wien sollen laut dem Religionsp­ädagogen Ednan Aslan Tendenzen aufweisen, die Kinder „von der Gesellscha­ft zu isolieren“. Haben Sie an die Betreiberv­ereine bisher keine Empfehlung­en abgegeben, welche pädagogisc­hen Inhalte adäquat sind? Sanaç: Das machen wir doch bei Kindergart­enbesuchen. Wenn ich dabei etwa nur irgendwo ein bisschen Schmutz sehe, dann sage ich: „Was sagt unser Prophet? ,Die Reinheit ist die Hälfte des Glaubens.‘“Wir müssen anstreben, das Beste und Schönste zu machen.

Standard: Doch längst machen auch andere hässliche Vorwürfe die Runde – etwa dass sich Eltern in einer muslimisch­en Betreuungs­einrichtun­g gegen das Singen starkgemac­ht haben sollen, weil das Allah beleidigen würde ... Sanaç: Bei Gott, das höre ich zum ersten Mal. Ich kann gar nicht glauben, dass jemand so etwas behauptet!

Standard: Ein mit Bildungspr­ojekten Betrauter, der die Beschwerde einer Mutter mitbekomme­n hat. Zur Klarstellu­ng: Kann, soll und darf in muslimisch­en Kindergärt­en gesungen werden? Sanaç: Wieso nicht? Und egal in welchen Kindergärt­en ich war, dort haben die Kinder für mich gesungen.

Standard: Wie stehen Sie dazu, wenn schon im Kindesalte­r vermittelt wird, dass bei Vergehen „das Höllenfeue­r“droht? Sanaç: Das ist doch pädagogisc­h falsch. Denn das Wichtigste ist, den Menschen zuerst die Liebe zu Gott, zur Natur und den anderen Menschen beizubring­en.

Standard: Wäre das Auswendigl­ernen von Koransuren für Sie im Vorschulal­ter in Ordnung? Sanaç: Die Kinder sollen in den Kindergärt­en spielerisc­h Verschiede­nes lernen, auch den Ausdruck von Respekt und Dankbarkei­t. Dazu gehört ein kurzes Tischgebet. Das Auswendigl­ernen von Koransuren fällt nicht darunter.

Standard: Will die Islamische Glaubensge­meinschaft bei der Auswahl der Pädagogen mitreden? Sanaç: Das ist seit jeher unsere Forderung, aber leider ist uns das gesetzlich nicht erlaubt. Es ginge uns nicht um Kontrolle, sondern darum, den muslimisch­en Einrichtun­gen zu helfen, damit wir es gemeinsam besser machen.

Standard: Einige Betreiberv­ereine haben gegen Ednan Aslan rechtli- che Schritte eingeleite­t. Haben Sie Verständni­s dafür? Sanaç: Wie Sie gerade gesagt haben, haben diese Leute einen Betrieb, der durch die Pauschalis­ierung schlechtge­macht worden ist, daher ist es ihr Recht, sich dagegen zu wehren.

Standard: Was halten Sie von den umstritten­en Koranverte­ilungsakti­onen der Stiftung „Lies!“? Sanaç: Aus theologisc­her Sicht bin ich dagegen, dass der Koran auf der Straße verteilt wird. Denn der Islam stellt keine missionari­schen Ansprüche. Jeder Mensch muss selbst entscheide­n, ob er Muslim ist oder nicht. Außerdem landen viele der Bücher im Müll, und auf Facebook werden Fotos mit zerrissene­n Exemplaren gepostet.

Standard: In Deutschlan­d werten die Verfassung­sschützer die Stände längst als Kontaktbör­se für potenziell­e Jihadisten. Eine Ahnung, wer konkret dahinterst­eckt? Sanaç: Ich habe mit diesen Leuten nie Kontakt gehabt. Aus demokratis­chen Gründen bin ich aber gegen ein Verbot.

Standard: In der Beipackbro­schüre von „Lies!“steht auch, der Islam sei die einzige Chance, um dem „Höllenfeue­r“zu entrinnen. Müssen alle „Ungläubige­n“damit rechnen? Sanaç: Das sagt doch jede Religion, ohne Ausnahme. Bei den einen gibt es die Hölle, bei den anderen die Finsternis. Aber lassen wir das, mir geht es vielmehr um den Dialog der Religionsg­esellschaf­ten. Nicht die Religionen, sondern Menschen sind verantwort­lich für die Geschehnis­se!

Standard: Nach den Anschlägen von Paris erklärte ein Wiener Schuldirek­tor dem STANDARD, dass Jihadismus und Islamismus mitunter zum Jugendkult ausarten. Wie tritt man solchen Tendenzen am besten entgegen? Sanaç: Unter anderem, indem man den Jugendlich­en Perspektiv­en gibt. Der Gesellscha­ft muss endlich bewusst werden, dass Integratio­n nicht allein bedeutet, Deutsch zu beherrsche­n. Die Jugendlich­en müssen sich zu Hause fühlen, was oft nicht der Fall ist.

Standard: Warum konkret? Sanaç: Ein simples Beispiel, was der Wiener Stadtschul­rat im Zuge der Deradikali­sierungsma­ßnahmen alles vorgegeben hat: Nur wenn ein Kind „Salam“sagt (üblicher Gruß im Arabischen, Anm.), dann müsse das beobachtet werden, ob der Schüler radikal ist. Muslime sagen das aber wie die einen „Grüß Gott“und andere „Shalom“.

Standard: Es gibt eine Liste mit verdächtig­en Wörtern? Sanaç: Ja, durch solche Erklärunge­n fühlt sich doch jeder Muslim betroffen. Ich weiß, dass die Direktoren darauf achten, dass mus- limische Kinder nicht ausgeschlo­ssen werden – und ich bin froh, dass viele nicht alles glauben, was so geschriebe­n wird.

Standard: Murat Baser, Vorsitzend­er der islamische­n Religionsg­emeinde in Oberösterr­eich, hat für Aufregung gesorgt, weil er Frauen als „physisch und psychisch schwach“bezeichnet hat. Völlig daneben oder theologisc­h korrekt? Sanaç: Erstens: Ich habe ihm gesagt, dass theologisc­he Auslegunge­n nicht seine Aufgabe sind. Zweitens: Gemäß unserer Verfassung ist nur der Präsident berechtigt, die Muslime nach außen zu vertreten. Außerdem habe ich ihn gefragt, ob er das wegen der oberösterr­eichischen Landesregi­erung gesagt hat, die ja nur männliche Mitglieder hat.

Standard: Das beantworte­t nicht die Frage, ob die Frau im Islam nun prinzipiel­l als schwach gilt. Sanaç: Das ist eine wissenscha­ftliche Angelegenh­eit. Da müssen Sie einen Wissenscha­fter, etwa einen Arzt fragen, warum fragen Sie mich das?

Standard: Weil Sie laut Ihrer Verfassung die Muslime vertreten. Sanaç: Ich kenne starke Frauen. Frau Merkel ist stärker als die anderen Regierungs­chefs in Europa.

Standard: Sie selbst stehen der „Islamische­n Föderation“, dem heimischen Ableger der national-religiösen türkischen Milli-Görüş-Bewegung, nahe, die gern eine islamische Rechtsordn­ung etablieren würde ... Sanaç: Ich habe schon hundertmal gesagt, dass mir von Milli Görüş in Deutschlan­d geholfen wurde, als ich Probleme mit der Wohnung hatte – und ich bin ein dankbarer Mensch bis in den Tod. Aber ich habe am ersten Tag meiner Amtszeit auch gesagt, dass ich der Präsident aller Mitglieder bin – was ich bisher auch bewiesen habe.

Standard: Dass das islamische Recht für nicht wenige Muslime über den österreich­ischen Gesetzen stehen könnte, ist aber eine der Hauptängst­e in einem Teil der Bevölkerun­g. Verständni­s dafür? Sanaç: Nein. Denn egal, wo Muslime leben: Wenn sie zu Gast in einem Haus sind, müssen sie zuerst fragen, ob sie hier ihr Gebet verrichten dürfen – wenn nicht, dann machen sie es auch nicht. Das bedeutet: Muslime, die hier leben, müssen sich nach den hier geltenden Gesetzen richten, was sie auch tun. Wenn nicht, werden sie sowieso bestraft!

FUAT SANAÇ (61) ist seit 2011 Präsident der Glaubensge­meinschaft. Davor arbeitete der gebürtige Türke als Religionsl­ehrer und als Fachinspek­tor für islamische­n Religionsu­nterricht.

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Finsternis. Aber lassen wir das“: Fuat Sanaç über die Konsequenz­en im Jenseits für Ungläubige.
„Das sagt doch jede Religion, ohne Ausnahme. Bei den einen gibt es die Hölle, bei den anderen die Finsternis. Aber lassen wir das“: Fuat Sanaç über die Konsequenz­en im Jenseits für Ungläubige.

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