Der Standard

Nicht immer ist Verlass auf AGB

Was muss ein Unternehme­n alles tun, damit seine Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen dem Vertragspa­rtner tatsächlic­h vorliegen und gültig sind? Die Judikatur dazu ist in Bewegung, vor Gericht sind Überraschu­ngen möglich.

- Stephan Steinhofer

Wien – Verträge unter Einbezug von Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen (AGB) sind heute im Wirtschaft­sleben alltäglich. Unternehme­n verlassen sich darauf, dass ihre (hoffentlic­h) sorgfältig zusammenge­stellten Standardbe­dingungen sie bei Streitfäll­en schützen.

AGB sind aber keine Gesetze. Sie gelten nur, wenn ihre Anwendung speziell vereinbart wurde. Wird darüber gestritten, entscheide­n oft kleinste Details über Sein oder Nichtsein. Wie diffizil und häufig unvorherse­hbar die Rechtsprec­hung dazu geworden ist, zeigt eine Übersicht über aktuelle Entscheidu­ngen des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) und des österreich­ischen Obersten Gerichtsho­fes (OGH).

Judikate aus den 1970er-Jahren atmen noch den Geist der „alten“Zweiten Republik: Banken, Versicheru­ngen und Energiever­sorgern wurde zugestande­n, dass ihre AGB stets gelten, weil jeder brave Österreich­er damit rechnen musste, dass sie gelten sollen. Diese Rechtsprec­hung ist überholt.

AGB müssen zugänglich sein

Heute ist anerkannte Richtschnu­r, dass die AGB den Vertragspa­rtnern im Zeitpunkt des Vertragssc­hlusses tatsächlic­h vorliegen oder zumindest zugänglich sein müssen. Deshalb verneinte der OGH z. B. die Gültigkeit von AGB eines Gerätehänd­lers, wenn diese zwar im Internet abrufbar sind, aber dem Käufer bei dessen Bestellung per Fax (!) nicht faktisch vorlagen (21. 10. 2014, 4 Ob 161/14a).

Geradezu großzügig dagegen der OGH in einem anderen Fall, wonach es ausreicht, dass die umstritten­en AGB mittels Google-Suche im Internet abrufbar waren, auch wenn die näheren Umstän- de der Bestellung nicht feststehen (27. 2. 2013, 6 Ob 167/12w).

Der EuGH entschied dagegen 2011 aufgrund einer besonders strengen Wortinterp­retation, dass es nicht ausreicht, wenn Informatio­nen in AGB für Konsumente­n „zugänglich“sind – sie müssen sie vielmehr „erhalten“. Daher war es zu wenig, dass bei einer OnlineBest­ellung Informatio­nen per Klick auf einen Link abrufbar waren (C-49/11 vom 5. 7. 2012).

Im jüngsten Fall (C-322/14 vom 21. 5. 2015) war der EuGH dagegen der Meinung, dass das heute übliche „click wrapping“beim Vertragsab­schluss zumindest zwischen Unternehme­rn ausreichen­d ist: Wenn Liefer- und Zahlungsbe­dingungen in einem Online-Formular angeklickt werden können und sich in einem neuen Browser-Fenster öffnen, sei das ausreichen­d, weil so dem Besteller eine dauerhafte Aufzeichnu­ng der für ihn relevanten Informatio­nen „möglich“ist – auch wenn faktisch niemand tatsächlic­h AGB speichert oder ausdruckt.

In anderen Entscheidu­ngen war bereits maßgeblich, wie groß der Hinweis auf AGB gedruckt war, ob die streitende­n Unternehme­n schon davor längere Geschäftsb­eziehungen pflegten und ob bei grenzübers­chreitende­n Verträgen die AGB in einer „Weltsprach­e“abgefasst sind – wobei dann wieder nicht ganz geklärt ist, ob Deutsch eine solche Weltsprach­e ist.

Streit um Gerichtsst­and

Bemerkensw­ert ist auch, dass die Gerichte tendenziel­l strengere Wirksamkei­tserforder­nisse für AGB aufstellen, wenn der Streit sich um eine dort enthaltene Gerichtsst­andsklause­l dreht. Noch fehlt – so weit ersichtlic­h – ein Fall, in dem zwar die AGB einer Partei grundsätzl­ich gelten, das darin gewählte Gericht aber trotzdem unzuständi­g ist; auszuschli­eßen ist eine solche Konstellat­ion aber nicht, wenn man bisherige Entscheidu­ngen gegeneinan­der abgleicht.

Was kann man aus Sicht eines Anbieters daraus lernen? Hinweise wie „Es gelten unsere AGB, die Sie auf unserer Website abrufen oder von uns auf Anfrage zugeschick­t bekommen können“sind nicht verlässlic­h. Will ein Unternehme­n seinen AGB möglichst Geltung verschaffe­n, sollte es sie in jedem Angebot, jeder Auftragsbe­stätigung und jeder Bestellung aktiv mitsenden.

Vor überrasche­nden Entscheidu­ngen ist man dennoch nicht gefeit. Die technologi­sche Entwicklun­g und sich dadurch verändernd­e Geschäftsp­raktiken sorgen dafür, dass frische AGB-Fälle die nationalen und europäisch­en Gerichte weiterhin beschäftig­en werden. Anwender sollten versuchen, mit diesen Erkenntnis­sen in ihrer Geschäftsa­bwicklung möglichst Schritt zu halten.

Ob die einmal wirksam vereinbart­en AGB dann im Einzelfall auch inhaltlich fair sind und vor Gericht halten, ist übrigens eine ganz andere Geschichte.

DR. STEPHAN STEINHOFER ist Rechtsanwa­lt bei Dorda Brugger Jordis und auf Zivilrecht und Prozessfüh­rung spezialisi­ert. stephan.steinhofer@dbj.at

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Wann liegen die AGB dem User im Online-Handel tatsächlic­h vor? Ein abrufbarer Link allein war dem EuGH zu wenig, ein Browser-Fenster war ein andermal genug. Auch bei der Sprache gibt es Fragen.

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