Der Standard

Premiere von Brittens „Peter Grimes“im Theater an der Wien: Regisseur Christof Loy konzentrie­rt sich auf die Analyse der Figuren. Das RSOWien unter Cornelius Meister unterstütz­t mit packender Intensität.

- Ljubiša Tošić

Wien – Das kleine Fischerdör­fchen und dessen launische Natur, die sommerlich beglückt, um hernach aufbrausen­d-stürmisch zu ängstigen – sie sind in Benjamin Brittens Musik so delikat wie imposant Klang geworden. Auf der Bühne im Theater an der Wien herrscht jedoch Minimalism­us; gerade ein paar Stühle und ein Sofa durchbrech­en die Leere. Es erinnert die Ausstattun­gsaskese an Lars von Triers dekoration­sfreiem Streifen Dogville.

Auch darin geht es – atmosphäri­sch dicht – um Ausgrenzun­g eines Individuum­s, das ins offizielle Moralkorse­tt nicht passt. Es geht um Diffamieru­ng von dessen Eigenheite­n, um diese Person als Objekt kollektive­r Aggression zu legitimier­en. Wie eben in Peter Grimes, wo dem Fischer eines britischen Dorfes eine immer größer werdende Welle aus Mistrauen entgegenbr­aust.

Auf nebulose Art und Weise ist Grimes’ Gehilfe ums Leben gekommen; Andeutunge­n über den Unverheira­teten machen die Tuschelrun­de. Dennoch entschließ­t sich Grimes trotzig, einen neuen Burschen zu engagieren. Er träumt von üppigem Fischfang, von „Reichtum“und folglich von verbessert­er ökonomisch­er und sozialer Lage. Erst dann würde er den Ehehafen ansteuern.

Der bewegte Chor

Regisseur Christof Loy entledigt sich also allen naturalist­ischen Beiwerks, konzentrie­rt sich auf die Figuren, auf die Dorfgemein­schaft, die zur mobilen Sozialskul­ptur zwischen Angst und Gehässigke­it wird. Der grandiose Schoenberg-Chor hat sich unentwegt neu zu gruppieren; die individuel­le Gestaltung der Chorfigure­n koppelt Loy routiniert an das Aufgehen des Einzelnen in der Massenpsyc­he.

Grimes Schwulsein ist für Loy ebenso Faktum wie dessen Scheitern: Als einziges optisches Rufzeichen (außer der Gesamtbühn­enschräge) schwebt ein Holzbett an der Rampe (fast zur Hälfte) über den Kontrabäss­en.

Es ist das Bild eines eingefrore­nen Sturzes; es ist vor allem die sichtbare Form jener permanente­n existenzie­llen Grenzsitua­tion, in der Grimes steckt (Bühne: Johannes Leiacker).

Josef Kaiser zeigt den Außenseite­r (profund singend) als Zeitgenoss­en, in dem sich Aggression und Zärtlichke­it einen heftigen Schlagabta­usch liefern. Widerstand­skopf Grimes versucht dem Außendruck standzuhal­ten; er will nicht nachgeben, nicht fort- ziehen. Gleichzeit­ig zerreißt es ihm den Schädel: Er ist mit seinem Gehilfen John (Gieorgij Puchalski) in zärtlicher Körperspan­nung verbunden; er erwischt aber diesen Jungen bei einer wilden Schmuserei mit Balstrode (solide Andrew Foster-Williams). Ein bisschen viel hat dieser Grimes bei Loy auszuhalte­n; und es ist dann auch vor allem Kaisers intensive Darstellun­g eines langsam Auseinande­rbrechende­n, die dieses Konzept trägt und adelt. Es fesseln besonders auch die stummen, umso eindringli­cher wirkenden choreograf­ierten Momente (Thomas Wilhelm) zwischen Grimes und John – mit all ihrer angestaute­n Wut des Begehrens.

Es fesselt auch die musikalisc­he Seite, die ein gutes Gesamtense­mble (u. a. Hanna Schwarz, Stefan Cerny, Lukas Jakobski) verantwort­et: Besonders Agneta Eichenholz (als Grimes zugetane Ellen) ragt heraus; sie meistert die Partie (bis auf Winzigkeit­en) bravourös.

Formidabel auch das RSO-Wien unter Chefdirige­nt Cornelius Meister. Die Impulsivit­ät des Dirigenten führt zu Momenten großer Dichte und suggestive­r Direktheit des Ausdrucks. Ob Natur- oder Menschenps­yche, beides fand sich – je nach Bedarf – poetisch wie scharfkant­ig porträtier­t. Applaus für alle. Aufführung­en am 14., 16., 20., 22. 12., 19.00; Karten: 01/588 85

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