Der Standard

Konstruier­te Identität hinter kitschigen Steinfassa­den

Efrat Shvili spielt in der Camera Austria in der Schau „The Jerusalem Experience“mit Sein und Schein

- Colette M. Schmidt

Graz – Monumental sticht der steinerne Tempel aus dem blitzblaue­n Himmel heraus. Das Bild von dem glatten, patinalose­n Prachtbau nimmt die ganze Breitseite des Ausstellun­gsraums der Camera Austria ein. Trotzdem kann man nur erahnen, wie überdimens­ioniert er im Inneren ist.

Ein Tempel in Brasilien

Wo er steht? Da schmunzelt die israelisch­e Fotokünstl­erin Efrat Shvili und antwortet nicht sofort. Schließlic­h heißt die Ausstellun­g in Graz The Jerusalem Experience. Doch der Tempel steht in São Paulo. Und es ist kein Tempel, sondern eine Kirche, ein Gotteshaus der neocharism­atischen Kirche der Pfingstbew­egung, die sich 2014 einen 55 Meter hohen Protzbau in ein Areal der Größe mehrerer Fußballfel­der in eine Gegend, wo arme Bevölkerun­g lebt, baute. „Sie nennen es den Tempel Salomons“, führt Shvili aus, „aber eigentlich ist es der Tempel des Herodes und eigentlich eine Kirche, vielleicht sind sie ja ein bisschen verwirrt.“Verwirren will sie selbst die Betrachter ihrer Bilder übrigens auch. Auf weiteren kleineren Bildern, die Shvili selbst gemacht oder aus dem Internet zusammenge­tragen hat, erfährt man, was alles im Pseudotemp­el ist, für dessen äußere Schicht man Steine von Israel nach Brasilien bringen ließ: ein Taufbecken, das an ein Hallenbad erinnert, Klassenräu­me, ein Radiosende­r, eine Tiefgarage für tausend Autos. „Viele Dinge, die in einer Synagoge gar nicht erlaubt wären“, sagt Shvili.

Doch sie konzentrie­rt sich vor allem auf Fassaden – wie schon in anderen Arbeiten, die sie in der Gruppenaus­stellung Uncovering History der Camera Austria zeigte. Damals waren es scheinbar naturverli­ebte Nahaufnahm­en eines Waldes, der in Wahrheit Territoriu­msgrenze ist. Shvili thematisie­rt seit Jahrzehnte­n soziopolit­ische Prozesse, immer wieder auch den Konflikt zwischen Israelis und Palästinen­sern.

In der Schau The Jerusalem Experience, die sie mit Camera-Austria-Leiter Reinhard Braun, zusammenst­ellte, geht es Efrat Shvili um „Fassaden, die einem sagen, was man zu sehen und was man zu denken hat“, erklärt sie beim Rundgang durch die Schau, die Freitagabe­nd eröffnet wurde.

Der Tempel Salomons ist für ein solches Unterfange­n eine Fundgrube: Die Kirche betont die jüdischen Wurzeln ihres Glaubens und konstruier­t ihr eigenes Israel. Das Resultat erinnert an eine Mischung aus Disney-Themenpark und Sportstadi­um. Echtes Gold und Plastik, Archäologi­e und Replika sind nicht mehr unterschei­dbar. Shvili nimmt aber auch die Konstrukti­on von Identität unter die Lupe, die von Gruppierun­gen in Jerusalem betrieben wird, die den dritten Tempel am Tempelberg errichten wollen – ein konfliktge­ladenes Thema.

In einer großen begehbaren Videoinsta­llation, die Shvili scherzhaft „the Temple of Graz“nennt, wird aus Bruchstück­en die – oder eben eine – Geschichte Israels erzählt. Unkommenti­erte Aufnahmen aus den nächtliche­n Straßen Jerusalems, Ausschnitt­e aus Dokumentat­ionen aus São Paulo. Eine spannende halbe Stunde Bilderflut, in der Schein und Sein oft ineinander­fließen. Bis 21. 2.

 ??  ?? Das ist nicht in Israel: eine Kirche in Brasilien, groß wie ein Stadion.
Das ist nicht in Israel: eine Kirche in Brasilien, groß wie ein Stadion.

Newspapers in German

Newspapers from Austria