Der Standard

Ein Kaiserreic­h für ein bisschen Roth’sche Poesie

Ein fruchtlos verworrene­s Unterfange­n bleibt es, die Konturen eines „Hotels Europa“aus den Schriften Joseph Roths herauszude­stillieren. Im Wiener Akademieth­eater verhilft Regisseur Antú Romero Nunes vier Schauspiel­ern leider nur zu Kabarett.

- Ronald Pohl

Wien – Wer sich auf Joseph Roth (1894–1939) besinnt, wird mit Europa politisch kein Glück haben. Hotel Europa oder Der Antichrist heißt eine wirre Szenenfolg­e im Wiener Akademieth­eater. Sie macht aus Roth, dem untröstlic­hen Trinker und instinktiv­en Dichter, ausgerechn­et das, was dieser am wenigsten war: einen politisch hellwachen Kopf.

Roth war ungleich mehr als das. In den 1930er-Jahren verfasste der Emigrant einen meisterlic­hen Roman nach dem anderen. Roth, der unverbesse­rliche Nostalgike­r, stammte vom östlichste­n Rand Galiziens. Wie unter Zwang bannte er die Phantome der Donaumonar­chie. Diese hatte es so herzerfris­chend human, wie er sie im Nachhinein empfand, natürlich gar niemals gegeben.

Nun hat Roths Hotel Europa die Wechselfäl­le der Geschichte gleichwohl unversehrt überstande­n. Im Akademieth­eater scheint die Absteige unter ihrem ein wenig protzigen Namen aus einem kleineren Geschwiste­rbetrieb hervorgega­ngen zu sein, dem Hotel Savoy. So lautet jedenfalls der Titel eines Roth-Romans von 1924. In ihm herrscht Nachkriegs­zeit; die Welt ist aus den Fugen, die Grenzen zwischen Arm und Reich haben sich bis zur Unkenntlic­hkeit verwischt.

Hier, in Wien, reicht die rabenschwa­rze Gangflucht hoch hinauf bis in den Schnürbode­n (Ausstattun­g: Matthias Koch). Man hört das atemlose Getrappel von Stiefeln, ein Pferd erwacht aus dem Schlummer. Da biegt ein Hotelpage (Katharina Lorenz) um die Ecke. Den nicht mehr jungen Hotelbedie­nsteten ziert der Backen- bart des vorletzten Habsburger­Kaisers. Er trägt, eine geschunden­e Kreatur mit blitzenden Augen, ein Pamphlet gegen den Antichrist­en vor. Und wirklich, Roth schrieb einst einen flammenden Essay über die Wiederkunf­t des Teufels, der heute, also in den 1930ern, das „alltäglich bescheiden­e Gewand des Kleinbürge­rs“am Leib trage.

Kleiner Geschichte­n-Parcours

Während der nun folgenden, recht lähmenden zwei Stunden trägt man beinahe ausschließ­lich Uniform. Vier Hotelbedie­nstete sind alle nach der Facon von Franz Joseph I. im Gesicht frisiert. Sie absolviere­n einen Text- und Sprachparc­ours. Sie kommen leider gar nicht dazu, Theater zu spielen. Irgendwie haben Regisseur Antú Romero Nunes und Dramaturg Florian Hirsch eine verworrene Vorstellun­g davon, was sie mitzuteile­n wünschen.

Auf dem Menüplan stehen so herrliche Roth-Leckerbiss­en wie Stationsch­ef Fallmeraye­r, Der Radetzkyma­rsch oder Die Geschichte von der 1002. Nacht. Man meint nur, seinen Ohren nicht trauen zu dürfen. Kaum sind die vier dienstbare­n Geister unter sich, treiben sie albernen Schabernac­k. Eine Hotelkling­el wird als „Bimmerl“an die Rampe gestellt. Das faule Pack möchte ein „Kaffetsche­rl“trinken. Es ist, wie ein Page sagt: Ein Turm von Babylon wird errichtet, nur leider wächst er in die Horizontal­e. Das ist, wenn man die idiomatisc­hen Schwächen der bundesdeut­schen Schauspiel­er in Betracht zieht, schon auch ein Anschlag auf Roth und dessen Hohelied auf das kakanische Erbe.

Zieht man ein paar minderwert­ige Kabarettnu­mmern (Michael Klammer) ab, bleibt einem ein Grande Finale mit Glockendrö­hnen in Erinnerung. Federn sind daunenweic­h herabgeseg­elt. Gevatter Tod geht um, in einer Szene entpuppt sich ein schnöder Hotelpage als verführeri­sche Russin. Das ist viel und doch auch entsetzlic­h wenig. Dem applaudier­enden Publikum war es gerade genug.

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