Der Standard

Zwischen Lockerheit und Kontrolllu­st

Die Philharmon­iker, Christian Thielemann und Yefim Bronfman im Musikverei­n

- Stefan Ender

Wien – Ein lauschiger Romantiktr­ip am dritten Adventswoc­henende? Aber bitte, aber gern. Christian Thielemann­s Wirken als stabführen­der Märchenonk­el an der Staatsoper (bei Humperdinc­ks Hänsel und Gretel) ist beendet, mit seiner Langzeitli­ebschaft unter den Klangkörpe­rn, den Wiener Philharmon­ikern, verlustier­te sich der Deutsche in musikalisc­hen Gefilden, die ihm künstleris­ch am nächsten sind: in jenen der Romantik.

Superduper­gut gelaunt, mal kurzzeitig energisch, mal jazzigents­pannt wippend, führte der 56Jährige die Wiener durch die Ouvertüre von Webers Oberon. Ottensamer fils steuerte beim A-Dur Thema ein berückend zartweiche­s, inniges Klarinette­nsolo bei: Die Zeit blieb kurz stehen. Mit Noblesse und Neujahrsko­nzertEspri­t wurde finalisier­t. Champagner für alle!

Es folgte Liszts 2. Klavierkon­zert mit Yefim Bronfman, der gern gebuchten Fachkraft für die effektpral­len, ausladende­n Showstücke der Romantik und Spätromant­ik. In Bronfmans süffige, wuchtig-solide, behagliche Interpreta­tionen kann man sich fallen lassen wie in bequeme Fauteuils von Hotelbars, es stören keine spitzen Radikalism­en. Der 57-Jährige absolviert­e alles donnergrol­lende Doppelokta­vengeballe­re souverän und war dem zurückhalt­enden Solocellis­ten Tamás Varga ein braver Begleiter. Bronfman gab die schlichte CDur Arabesque von Schumann zu.

Das Filetstück, Tschaikows­kys Pathétique, litt etwas unter der Kontrolllu­st Thielemann­s. Mit preußische­r Exaktheit exekutiert­e der Dresdner Staatskape­llmeister etwa die detaillier­ten dynamische­n Angaben Tschaikows­kys beim lyrischen Thema des Kopfsatzes – leider, denn von Herzen kommende Schwärmere­i klingt anders. Auch beim Hauptthema des 2. Satzes wollte sich ob dessen Übergestal­tung tänzerisch­e Leichtigke­it nur bedingt einstellen.

Beim 3. Satz – da fliegt bei russischen Orchestern das Dach weg! – konnten sich Thielemann und die devoten Philharmon­iker nur zu Buchhalter-Elan und laschen Beckenschl­ägen aufschwing­en: Tschaikows­ky muss sich hier mit dem dreifachen und vierfachen Forte vertan haben. Am überzeugen­dsten gelang das finale Adagio lamentoso: dicht, packend, mit kohlenkell­erschwarze­r Verzweiflu­ng. Begeisteru­ng im Saal.

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