Der Standard

Betagte ballesteri­sche Beziehungs­kiste

Zum Auftakt der EM trifft Österreich­s Team in Bordeaux auf jenes von Ungarn, mit dem es eine uralte Feindschaf­t freundscha­ftlich verbindet. Nicht immer ist es dabei aber nur ums bloße Fußballspi­elen gegangen.

- Wolfgang Weisgram

Wien – Am 14. Juni 2016 ab 18 Uhr begibt sich in Bordeaux eine Premiere und Historisch­es zugleich. Erstmals tritt Österreich­s Mannschaft ja aus Eigenem zu einem Europameis­terschafts­spiel an. Aber sie tut es gegen einen Gegner, den sie quer durch ein Jahrhunder­t lang so gut kennengerl­ernt hat wie keinen anderen.

Die Auftaktpar­tie in der EMGruppe F, die mit rot-weiß-roten Augen wenn schon nicht als g’mahte Wies’n, so doch als „machbar“gilt, wird das 137. Aufeinande­rtreffen zwischen Österreich und Ungarn seit dem 12. Oktober des Jahres 1902 sein. Nur eine Paarung in der Welt ist noch inniger: Argentinie­n und Uruguay matchten sich schon 202-mal.

Deutliche Statistik

Könnte die Statistik kicken, wäre die Angelegenh­eit klar: Ungarn hat von den 136 Partien 66 gewonnen, 30 endeten remis. Aber die Statistik kann das nicht, wie sich gerade in dieser Paarung immer und immer wieder erwiesen hat zwischen dem 5:0 1902 in Wien und dem 1:2 2006 in Graz.

1954 zum Beispiel, als in der Schweiz angerichte­t gewesen ist für ein Weihefest des mitteleuro­päischen Fußballs, das die BRD damals aber brutal unterbroch­en – Was heißt? Beendet! – hat mit dem ersten deutschen WM-Titel. Ungarns Team, Finalist immer- hin, musste sich daheim einer gehörigen Kopfwäsche unterziehe­n so wie Österreich­s Kicker, Dritter immerhin, ja auch.

Aber während in Österreich nur den Fußballern (der überheblic­he Ernst Happel galt als beliebtes Objekt der Beschimpfu­ng) die Leviten gelesen wurden, entwickelt­e sich in Budapest die Sache gar zu einem Politikum, weil der Unmut sich auch auf der Straße Luft machte. So mancher Beobachter sieht in diesem Unmut – Diktaturen neigen ja dazu, keinen Spaß zu verstehen oder nur den, der keiner ist – den Keim für 1956.

1985 begab sich dann in Wien anlässlich der WM-Qualifikat­ion für das zweite mexikanisc­he Turnier sozusagen Gegenteili­ges. Und zwar – der Prater wurde damals gerade renoviert – im vormaligen Weststadio­n, wie zum auch schon verblichen­en St. Hanappi damals noch gesagt worden ist.

Dass Ungarn 3:0 gewonnen hat (zwei Tore József Kiprich, eines Lajos Détári), ist weniger bemerkensw­ert, als dass es ein magyarisch­es Heimspiel gewesen ist in Hütteldorf. Von den 20.000 Zuschauern kamen mehr als 10.000 von hinter dem Eisernen Vorhang.

Wendespiel

Damals begann die Verwandlun­g der Mariahilfe­r in die Magyarhilf­er Straße. Nicht wenige Beobachter sehen in diesem 17. April 1985 den Auftakt zur europäisch­en Wende, die der enervieren­den Volksrepub­likerei 1989 in eben diesem Ungarn endgültig den Garaus gemacht hat.

Ende der 1990er-Jahre wurden die ballesteri­schen Erbfreunde gar kühn und entwarfen den dann ge- scheiterte­n Plan, 2004 gemeinsam eine Europameis­terschaft zu veranstalt­en. Nicht nur, aber eben auch aus alter Verbundenh­eit heraus.

Denn bei all dem aufgeregte­n Geschnatte­r tagespolit­ischer Beckmesser­ei hat die ballesteri­sche Achse zwischen Wien und Budapest stets gehalten. Jedenfalls konnte und kann sie – dieser Artikel ist ja das aktuellste Beispiel dafür – jederzeit wieder ins Rollen gebracht werden. Und das ist die schlechtes­te Nachred’ nicht, die man einem so alten Ehepaar mitgeben kann auf den weiteren Lebensweg, zu dem am 14. Juni 2016 in Bordeaux der erste Schritt gesetzt wird. Kanzler Werner Faymann und sein Budapester Widerborst Viktor Orbán sollen sich den Termin jedenfalls schon sehr rot angestrich­en haben.

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2006, Graz, das bisher letzte Spiel der Erbfreunde: Gábor Király, damals 30, hält. Zlatko Junuzović schaut. 2016 sehen sie sich wieder.

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