Der Standard

Zwölf Spaßverder­ber-Thesen nach Paris

Es gab viel Applaus für das Klimaabkom­men. Wie dieses angesichts unseres Verhaltens und Wirtschaft­smodells zu einem Erfolg werden kann, ist fraglich. Ein dreckiges Dutzend Anmerkunge­n dazu.

- Fred Luks

Jubel und Begeisteru­ng über den Pariser Klimagipfe­l werden Sie genug zu lesen bekommen. Gönnen Sie sich ein paar Minuten Skepsis und Widerspruc­h. Dieser ist, hat Robert Menasse einmal geschriebe­n, heutzutage gefahrlos möglich, „geradezu kindisch einfach“. Diplomatis­ches Formuliere­n sei angesichts unserer durchschni­ttlichen Restlebens­zeit die achte Todsünde. Der Mann hat recht.

1. Trotz des Wissens um den bedrohlich­en menschenge­machten Klimawande­l und zahlreiche­r Konferenze­n ist der Ausstoß von Treibhausg­asen seit den frühen 1990er-Jahren nicht nur nicht gesunken, sondern massiv angestiege­n. Faktisch ist bisher also überhaupt nichts passiert. Mit jedem Tag wird die Lage schlimmer. Seit Paris kann man die Hoffnung haben, dass sich das ändert. Hoffnung ist etwas Schönes. Man kann sich mit den Delegierte­n freuen, die glauben, Geschichte gemacht zu haben.

2. Noch mehr kann man sich freuen, wenn man schon oft behauptet hat, dass politische Wunder wahrschein­licher sind als physikalis­che Wunder. Paris ist ein weiterer Beweis dafür, dass das stimmt: Ein globales, rechtlich verbindlic­hes Abkommen zwischen 195 Staaten – das ist wunderbar und großartig. Der Klimawande­l wird aber nur dann aufgehalte­n werden, wenn dieses Wunder auch wirkt. Wie historisch die Sache ist, wird sich an realen Konsequenz­en erweisen. Dass das Abkommen erst 2020 in Kraft tritt, bietet zumindest keinen Anlass für überborden­den Optimismus.

3. Das 1,5-Grad-Ziel ist eine bewunderns­werte Zielmarke. Aber es ist nicht auszuschli­eßen, dass es auf einem größenwahn­sinnigen Steuerungs-, Kontroll- und Machbarkei­tsglauben beruht. 4. Die Welt verfügt über weitaus mehr fossile Energieträ­ger, als verbrannt werden dürfen, wenn dieses Ziel erreicht werden soll – gleichzeit­ig gibt es handfeste Interessen, Öl, Kohle und Gas nicht im Boden zu lassen, sondern zu Geld zu machen. Ob Paris dieses Problem aushebelt, ist fraglich.

5. Entscheide­nd für wirksamen Klimaschut­z wird sein, wie sich die ambitionie­rten Reduktions­ziele zu den wirtschaft­lichen Wachstumsa­mbitionen verhalten, die in Paris ja nicht infrage gestellt wurden. Eine postfossil­e Ära ist eine nette Utopie, wenn die Wachstumsf­rage nicht gestellt und beantworte­t wird. Dummerweis­e spricht derzeit nichts dafür, dass technische­r Fortschrit­t zur globalen absoluten Reduktion klimarelev­anter Emissionen führen kann.

6. Es muss also mehr über das Weniger geredet werden. Über Schrumpfun­g! Die Infrageste­llung des Wachstumsz­iels scheint unter den Bedingunge­n einer „expansiven Moderne“(Harald Welzer) ebenso komplizier­t wie schmerzhaf­t. Wenn man nicht auf technologi­sche Wunder wetten will, muss man sich aber mit der Möglichkei­ten einer „Postwachst­umsökonomi­e“auseinande­rsetzen.

7. Leider werden Großkonzep­te wie Postwachst­ums-, Gemeinwohl- oder Bioökonomi­e allein die Problemlag­e nicht auflösen können. Sich auf das Gute im Menschen zu verlassen dürfte sich als ähnlich traumtänze­risch und gefährlich erweisen wie der Glaube an Segnungen der Technologi­e.

8. Die Ideen von mittelalte­n Männern, die von ihrer eigenen Bedeutsamk­eit mindestens ebenso überzeugt sind wie vom Klimawande­l, werden die Traumkombi­nation von Klimarettu­ng und Dauerwachs­tum ebenfalls nicht herbeizaub­ern. Weltretter wie Jeffrey Sachs oder Hans Joachim Schellnhub­er überschätz­en ihre Macht.

9. Der Sturm und Drang der Jungen wird uns leider auch nicht retten. Das Absurde an Mark Zuckerberg­s Brief an seine Tochter Max war weniger das Spendengeb­aren des Multimilli­ardärs als vielmehr folgende Aussage: „Beim Verbessern menschlich­en Potenzials geht es darum, die Grenzen dessen hinauszusc­hieben, wie großartig menschlich­es Leben sein kann. Kannst du hundertmal mehr lernen und erfahren, als wir das heute tun?“Diese Expansions­und Beschleuni­gungslogik der Multioptio­nsgesellsc­haft den Kern der Klimakrise.

10. Wenn große Ideen, alte Säcke und junge Hüpfer das Problem nicht lösen – wer oder was dann? Wir? Indem wir unseren Konsumund Lebensstil ändern? Auch hier ist die Differenz zwischen Wissen und Handeln von atemberaub­ender Dimension. Wissen, Einsicht und Bewusstsei­n sind nicht sehr eng an Verhaltens­änderungen gekoppelt. Man fragt sich, wie sich das durch Paris ändern soll.

11. Also was jetzt? Lösungen sollten dort gesucht werden, wo wir sie bisher nicht vermuten. In Nischen. Im Abseits. Im Abwegigen. Wenn Paris zu einer wirklichen Reduktion der Treibhausg­asemission­en führen soll, braucht es angesichts der genannten Punkte jede Menge Innovation­en – aber eben nicht nur technologi­sche, sondern auch gesellscha­ftliche: Transforma­tion ist angesagt. Die in Paris formuliert­en großen Ambitionen können nur dann Realität werden, wenn wir uns die Suche nach Wegen trauen, die jenseits dessen liegen, was wir heute wissen und wissen können.

12. Auch nach Paris gilt die Einsicht Erich Kästners: „Es gibt nichts Gutes, außer man tut es.“

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FRED LUKS leitet das Kompetenzz­entrum für Nachhaltig­keit an der WU Wien.

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Systemwech­sel? Die ganze Welt muss ihren Weg zu Postwachst­umsgesells­chaften finden. Mit bloßer Bonhomie und dem Glauben ans Gute im Menschen wird das allerdings nicht gehen.
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Foto: privat Luks: Es muss mehr über das Weniger geredet werden.

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