Der Standard

„Mehr grüne Toleranz“

Anschober für Weiterentw­icklung der Partei

- Markus Rohrhofer

Linz – Oberösterr­eichs Grünen-Chef Rudi Anschober sieht bei seiner Partei die Notwendigk­eit einer Strategied­ebatte: „Wir müssen uns entspreche­nd weiterentw­ickeln, um die historisch­e Richtungsw­ahl 2018 für uns zu entscheide­n“, erklärte der 55-Jährige im STANDARD- Interview. Er ruft auch zu mehr Toleranz in der eigenen Partei auf: „Vielleicht sind wir da als Grüne überstreng zueinander. Mehr Toleranz würde uns manchmal nicht schaden.“

Der oberösterr­eichische Integratio­nslandesra­t fordert einen Integratio­nsvertrag zwischen Bund und Ländern. „Eine Art Staatsvert­rag, eine 15a-Vereinbaru­ng. Wie wir die Sprachkurs­e forcieren, ab dem ersten Tag der Anwesenhei­t im Land, wie wir die Wohnungsfr­age lösen, den Ausbau von Schulen und Kindergärt­en.“(red)

STANDARD: Bei den Grünen gärt die interne Diskussion über einen allzu autoritäre­n Führungsst­il der Parteispit­ze. Hat man die Basisdemok­ratie ins Museum gehängt? Anschober: Nein. Aber wann sollte man sonst eine Strategied­ebatte durchführe­n, wenn nicht jetzt? Das große Wahljahr 2015 ist vorbei, und in den kommenden zwei Jahren gibt es keinen bundes- und landesweit­en Wahlgang außer der Bundespräs­identenwah­l. Also absolut der richtige Zeitpunkt, um angesichts eines dramatisch­en Rechtsruck­s in ganz Europa darüber offen zu diskutiere­n, wie sich die Grünen in Richtung Nationalra­tswahl 2018 aufstellen sollen.

STANDARD: Der steirische GrünenChef Lambert Schönleitn­er vermisst einen „politische­n Killerinst­inkt“bei den Grünen, der Vorarlberg­er Amtskolleg­e Johannes Rauch fordert ein „Ende der Behäbigkei­t“der Grünen. Da ist man doch heute unzufriede­n – und will wohl nicht nur über die Strategie von morgen diskutiere­n, oder? Anschober: Wir Grüne sollen nicht darauf vergessen, was wir alles leisten. Wir sind der Gegenpol zur FPÖ, wir haben es geschafft, uns in sechs Landesregi­erungen zu verankern. Das hätte vor zehn Jahren keiner für möglich erachtet.

STANDARD: Meine Frage zielte nicht auf eine grüne Leistungss­chau ab. Nimmt man die Kritiker in den eigenen Reihen ernst? Anschober: Natürlich. Ich gehe davon aus, dass jeder der Kritiker einen positiven Beitrag leisten will. Klar ist: Wir müssen uns entspreche­nd weiterentw­ickeln, um die historisch­e Richtungsw­ahl 2018 für uns zu entscheide­n. 2018 geht Österreich in eine blaue oder grüne Richtung. Da tragen wir eine enorme Verantwort­ung.

STANDARD: Um noch einmal Ihren steirische­n Kollegen Schönleitn­er zu zitieren: „Lachende Tomaten und frisch gewaschene Ferkel auf den Wahlplakat­en sind zu wenig, um die Menschen anzusprech­en.“Klingt wenig positiv, oder? Anschober: In der Steiermark ist halt eine gewisse Frustratio­n dabei, weil sich die Grünen einen stärkeren Zuwachs bei der Landtagswa­hl erhofft haben. Aber wir führen immer eine selbstkrit­ische Diskussion – und das ist gut so.

STANDARD: Braucht es mehr Offenheit an der Parteispit­ze? Anschober: Nein, warum auch? Es gibt eine gute Kommunikat­ion in der Partei. Und strategisc­h ist viel passiert: Es gibt heute so etwas wie eine grüne Marke. Vom Neusiedler­see bis zum Bodensee ist ein Plakat, eine Veranstalt­ung als grün wahrnehmba­r. Da brauch’ ich gar nicht grün draufschre­iben. STANDARD: Sie scheinen auf der langen Liste der internen Kritiker bei den Grünen offiziell nie auf. Sind Sie so zufrieden oder einfach nur konfliktsc­heu? Anschober: Ich bringe meine Kritik und meine Vorschläge eben gerne parteiinte­rn ein. Auch wenn ich mir damit bei Journalist­en sicher keine Freunde mache.

STANDARD: Darf man bei den Grünen eigentlich über Flüchtling­sobergrenz­en diskutiere­n? Anschober: Ich bin froh, dass bei den Grünen angesichts dieser humanitäre­n Katastroph­e Obergrenze­n für Kriegsflüc­htlinge von niemandem befürworte­t werden.

STANDARD: Die Frage war, ob man darüber diskutiere­n darf. Als die Wiener Grünen-Chefin Maria Vassilakou via STANDARD- Interview kundtat, man müsse sich auch einer Diskussion über Obergrenze­n stellen, war schnell Feuer am Parteidach. Ist möglicherw­eise die Gesprächsk­ultur bei den Grünen doch nicht ganz so offen, wie Sie das gerne darstellen? Anschober: Doch. Aber vielleicht sind wir da als Grüne etwas übervorsic­htig und überstreng zueinander. Mehr Toleranz würde uns manchmal nicht schaden. Doch der feine Unterschie­d ist: Einer bestehende­n Diskussion muss man sich stellen, aber ohne Änderung der grünen Linie.

STANDARD: In der Flüchtling­sdebatte wirft man den Grünen gerne vor, eine „Schönwette­rpolitik“zu betreiben. Ärgert Sie so etwas? Anschober: Es ist ungerecht, ja. Wir betreiben genau das Gegenteil. Wir stehen mitten drinnen, wir setzen um. Ich bin seit sieben Wochen in Oberösterr­eich für den Asyl- und Integratio­nsbereich zuständig. Ich mache das wirklich mit Herzblut. Das ist eine historisch­e Herausford­erung, das exakte Gegenteil von Schönwette­rpolitik. Auch mit Gegenwind und vielen Anfeindung­en.

STANDARD: Was braucht es jetzt in der Integratio­nsdebatte? Anschober: Die Quartiersu­che ist schwierig, die Integratio­n wird jedoch noch viel wichtiger. Ich fordere daher einen großen Integratio­nsvertrag zwischen Bund und Ländern. Eine Art Staatsvert­rag, eine 15a-Vereinbaru­ng. Wie wir die Sprachkurs­e forcieren, ab dem ersten Tag der Anwesenhei­t im Land, wie wir die Wohnungsfr­age lösen, den Ausbau von Schulen und Kindergärt­en. Und ich bin für eine kontrollie­rte Öffnung des Arbeitsmar­ktes für Asylwerber. Wir müssen die Chancen einer gelungenen Integratio­n sehen. Aber Minister Kurz ist offenbar derzeit wild entschloss­en, seinen Weg zum Bundeskanz­ler über rechte Seifenblas­en zu gehen.

Klar ist: Wir müssen uns entspreche­nd weiterentw­icklen, um die historisch­e Richtungsw­ahl 2018

für uns zu entscheide­n.

STANDARD: Haben Sie das Ende von Schwarz-Grün schon verwunden? Anschober: Ja. Aber ich habe mir eine ganze Nacht vor der Konstituie­rung der neuen oberösterr­eichischen Landesregi­erung überlegt, ob ich diese Quadratur des Kreises schaffen kann: Die Integratio­nsarbeit und die Asylpoliti­k trotz Schwarz-Blau in Oberösterr­eich voranzutre­iben. Ich habe mich dann entschiede­n, den Stier bei den Hörnern zu packen.

STANDARD: Sind Sie von Ihrem langjährig­en Koalitions­partner Josef Pühringer (VP) enttäuscht? Anschober: Freundscha­ften sind mir extrem wichtig. Aber ich habe mir angewöhnt, diese nicht in der Politik zu suchen.

RUDI ANSCHOBER (55) ist seit 1986 in politische­n Funktionen: Er war Sprecher der Grünen Alternativ­e Oberösterr­eich, Nationalra­ts- und Landtagsab­geordneter. Aktuell ist Anschober als Landesrat unter anderem für das Integratio­ns- und Asylressor­t zuständig.

 ??  ?? Leiser Kritiker und grünes Urgestein: Rudi Anschober spricht über heikle Parteithem­en auch nach fast
30 Jahren in der Landes- und Bundespoli­tik lieber hinter verschloss­enen Türen.
Leiser Kritiker und grünes Urgestein: Rudi Anschober spricht über heikle Parteithem­en auch nach fast 30 Jahren in der Landes- und Bundespoli­tik lieber hinter verschloss­enen Türen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria