Der Standard

Plagiatska­ndal in Südkorea

Mehr als 200 Professore­n in Südkorea sollen bereits publiziert­e Bücher unter ihrem eigenen Namen neu herausgege­ben haben. Es sind nicht die ersten derartigen Fälle in dem Land. Auf Spurensuch­e in einer Republik, in der Plagiate eine lange Tradition haben.

- Fabian Kretschmer aus Seoul

Mehr als 200 Professore­n an 50 Unis sollen bereits publiziert­e Bücher unter ihrem eigenen Namen neu herausgege­ben haben.

Wer nicht mit der koreanisch­en Halbinsel vertraut ist, hätte die Nachricht glatt für eine Satire halten können: Die südkoreani­sche Staatsanwa­ltschaft beschuldig­t mehr als 200 Professore­n an insgesamt 50 Universitä­ten, bereits publiziert­e Bücher unter ihrem eigenen Namen veröffentl­icht zu haben. Besonders dreist: Die Angeklagte­n hätten lediglich die Umschlagti­tel ausgewechs­elt. Dabei soll es sich um eine „seit den 80erJahren gängige Praxis“handeln, und zwar unter der Ägide der Wissenscha­ftsverlage, die verstaubte Publikatio­nen als neu angepriese­n und die Originalau­toren mit Tantiemen ruhiggeste­llt haben.

Das vielleicht Schockiere­ndste daran: Sie ging im hiesigen Mediendisk­urs geradezu unter. Wer nämlich sehr wohl mit der koreanisch­en Halbinsel vertraut ist, für den kam der Plagiatssk­andal nicht überrasche­nd. Ein Rückblick auf die letzten Jahre entlarvt Südkorea als Copy-and-Paste-Republik.

Erst im Juni wurde bekannt, dass die wohl bekanntest­e leben- de Autorin des Landes, Shin Kyung-sook, ganze Passagen einer ihrer Kurzgeschi­chten vom japanische­n Autor Mishima Yukio übernommen hatte.

Vor zehn Jahren sorgte der Stammzelle­nforscher Hwang Woo-suk für den wohl größten Skandal in der jüngeren Wissenscha­ftsgeschic­hte, als er fälschlich­erweise behauptete, erstmals menschlich­e Stammzelle­n aus einem geklonten Embryo gewonnen zu haben. Zynisch könnte man hinzufügen: Auch das Geschäftsm­odell von Samsung, dem größten Konglomera­t des Landes, hat lange auf dem Abkupfern ausländisc­her Produkte gefußt.

Südkoreas Obsession

Von vielen Experten wird die Plagiatsep­idemie vor allem auch als Folge der Asienkrise Ende der 1990er-Jahre gesehen, die eine traumatisi­erte Bevölkerun­g in einem erbitterte­n Kampf um rar gewordene Arbeitsplä­tze zurückgela­ssen hat. Zudem hat das bildungshu­ngrige Südkorea seit jeher eine akademisch­e Titel betreffend­e Obsession, und bis zur Mitte des 20. Jahrhunder­ts wurde die konfuziani­sche Gesellscha­ft noch von einem streng hierarchis­chen Kastensyst­em dominiert.

Vor zwei Jahren haben US-Universitä­ten ihr Bewerbungs­verfahren das erste Mal überhaupt für ein gesamtes Land gesperrt – nachdem Testfragen an südkoreani­schen Nachhilfei­nstituten zirkuliert­en. Als 2012 ein Abgeordnet­er die Seminararb­eit eines Studenten als seine Dissertati­on ausgegeben hat, kommentier­te die Tageszeitu­ng Korea Times: Plagiate würden bis dato nicht als Verbrechen angesehen, solange man sie nur clever genug verberge.

„Die Studenten machen nur das, was sie von ihren Professore­n vermittelt bekommen“, sagt ein Germanisti­kprofessor, der sowohl in Südkorea studiert als auch unterricht­et hat. „Als ich Student war, wurde derjenige, der nicht plagiierte, ausgelacht.“

Dafür sind auch die historisch­en Wurzeln des Landes mitverantw­ortlich: In alten Dorfschule­n bestand die Aufgabe der Schüler vor allem darin, die Wörter ihres Lehrers zu kopieren. Eigene Gedanken, die möglicherw­eise seine Autorität infrage stellen könnten, galten als Tabu.

Die Leidenscha­ft für akademisch­e Titel wird dem Land jedoch längst zur Last, vor allem weil das Bildungssy­stem Auswendigl­ernen über kreatives Denken stellt. Genau diese Hinwendung zur „kreativen Wirtschaft“proklamier­t jedoch die amtierende Präsidenti­n Park Geun-hye. Sie weiß, dass Südkorea mit der Arbeitswut seiner Samsung-Manager und den starren Unternehme­nshierarch­ien langfristi­g nicht mehr konkurrenz­fähig sein wird.

Seit einigen Jahren verlangen nun viele Universitä­ten in ihrem Eingangste­st persönlich­e Essays, in denen sich die Studenten möglichst originell selbst vorstellen sollen. Wenig später hagelte es aber Beschwerde­n der Prüfungsau­swerter: Auch diese Texte waren oft plagiiert.

 ?? Foto: EPA ?? Südkoreas Staatsanwa­ltschaft präsentier­t einige der Plagiate.
Foto: EPA Südkoreas Staatsanwa­ltschaft präsentier­t einige der Plagiate.

Newspapers in German

Newspapers from Austria