Der Standard

Zum Schluss hat dann doch keiner gesiegt

Französisc­he Regionalwa­hlen zeigten: Wähler wollen eigentlich weder Le Pen noch Sarkozy noch Hollande

- Stefan Brändle aus Paris

Am größten war die Erleichter­ung in touristisc­hen Regionen wie der Côte d’Azur, der Provence, dem Burgund oder dem Elsass: Sie werden die nächsten fünf Jahre nicht mit dem Stigma leben müssen, „FN-Gebiet“zu sein. Von den 13 Großregion­en Frankreich­s eroberte der fremdenfei­ndliche Front National am Sonntagabe­nd keine einzige. Die Rechte gewann deren sieben, darunter die umkämpften Großräume von Paris und Lyon, dazu den Norden, Osten und Süden, wo sich Marine und Marion Le Pen Hoffnungen machten. Die Linke bewahrte fünf Positionen.

Stimmenmäß­ig legten die Frontisten allerdings weiter zu: 6,8 Millionen Franzosen wählten sie – das sind 800.000 Stimmen mehr als im ersten Durchgang: Rekord. „Die Gefahr der extremen Rechten ist nicht beseitigt“, erklärte Premiermin­ister Manuel Valls deshalb schon am Abend.

Markanter noch als die Stimmenzah­l ist der Zuwachs an Selbstvert­rauen für die FN-Wähler: Auf dem Dorfmarkt oder vor TV-Kameras stehen sie heute wie selbstvers­tändlich zu ihrem Votum, das sie bisher eher verschämt verborgen hatten.

Bei der konservati­ven Opposition gab es keine Siegermien­en. Republikan­er-Chef Nicolas Sarkozy setzte vergeblich auf die „blaue Welle“, um sich ein Sprungbret­t für die Präsidente­nwahl zu schaffen. Er hat es der Spitzenkan­didatin in Paris zu verdanken, dass seine Partei mehr Regionen erobert als die Linke: Valérie Pécresse gewann die schwergewi­chtige Hauptstadt­region Île-de-France (zwölf Millionen Einwohner, 30 Prozent der Landeswirt­schaft).

Vorwürfe gegen Sarkozy

Sarkozy musste sich am Montag bei einer Parteisitz­ung gegen Vorwürfe verteidige­n, er habe sich bei den FN-Wählern angebieder­t. ExPremier Jean-Pierre Raffarin forderte eher eine Annäherung an die Zentrumsde­mokraten. Nur so, meint der gemäßigte Republikan­er, lasse sich vermeiden, dass der sozialisti­sche Präsident François Hollande mit seinem resoluten Antiterror­kurs die politische Mitte besetze. Sarkozy will aber keine internen Debatten aufkommen lassen und entfernte seine liberale Hauptkriti­kerin Nathalie Kosciusko-Morizet aus der Parteileit­ung.

Im Hintergrun­d geht es um die Präsidents­chaftswahl 2017. Auch intern zunehmend umstritten, hat Parteichef Sarkozy Mühe, die Regionalwa­hlen in einen persönlich­en Erfolg umzudeuten. In Umfragen schneidet der moderate Alain Juppé besser ab, auch wenn die Sarkozyste­n dem 70-Jährigen die nötige Energie absprechen. Die beiden Platzhirsc­he der Republikan­er werden kaum zulassen, dass sich bei den Vorwahlen 2016 jüngere Republikan­er in Szene setzen.

Hollande muss nun allerdings das politische Zentrum zumindest vorübergeh­end aufgeben und Kurs nach links nehmen. Dort wächst der Druck. „Wir können so nicht weitermach­en“, sagt Sozialiste­nchef Jean-Christophe Cambadélis: Um den FN-Vormarsch zu bremsen, müsse die Regierung „die soziale Prekarität und die Arbeitslos­igkeit bekämpfen“. Aus Valls’ Entourage verlautete bereits, der Premier plane „rasch neue Beschäftig­ungsmaßnah­men“.

Nachdem sich Hollande wochenlang und erfolgreic­h mit Terrorabwe­hr und Klimagipfe­l befasst hatte, sieht er sich nun wieder von der schlechten Wirtschaft­slage eingeholt. Sie stellt ihn vor ein unüberwind­liches Dilemma: Der linke Parteiflüg­el verlangt soziale Maßnahmen – und damit eine radikale Abkehr von den Budgetvorg­aben der EU; Wirtschaft­skreise und die deutsche Regierung fordern hingegen eine ökonomisch­e Liberalisi­erung, um den Konjunktur­motor wieder anzuwerfen.

Auf seine Parteilink­e angewiesen, mit dem Front National im Nacken, aber mit leeren Staatskass­en konfrontie­rt, dürfte Hollande gezwungen sein, wirtschaft­spolitisch weiter zu lavieren. Im Jahr vor der Präsidents­chaftswahl wird er darauf verzichten, echte Strukturre­formen anzupacken. Sie wären aber wohl das einzige Mittel, das Schreckges­penst des FN wirklich zu bannen.

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Foto: AFP / Miguel Medina Sarkozy-Gefolgsfra­u Valérie Pécresse siegte in Île-de-France.

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