Der Standard

Schicksals­stunde für Doha-Runde

Die USA wollen die seit Jahren blockierte Doha-Welthandel­srunde sanft beerdigen. Arme Länder halten dagegen. Beim viertägige­n Treffen in Nairobi treffen schier unvereinba­re Positionen aufeinande­r. Fast ein Drittel der Patentantr­äge kommt aus China

- Jan Dirk Herbermann aus Genf

Seit Tagen macht Roberto Azevêdo einen nervösen Eindruck. Der Generaldir­ektor der Welthandel­sorganisat­ion (WTO) hat seine Lässigkeit verloren. Die Anspannung des Brasiliane­rs hat einen Grund: Heute, Dienstag, startet das Ministertr­effen der WTO in Nairobi (15. bis 18. 12.), und Azevêdo weiß: „Es geht um sehr viel in Nairobi.“Alle 162 Mitglieder der WTO müssten sich der Bedeutung des zehnten Ministertr­effens bewusst sein. Genauer gesagt soll in der Hauptstadt Kenias über die Zukunft des größten Projekts der Organisati­on entschiede­n werden: Wie geht es weiter mit der 14 Jahre alten Welthandel­srunde?

„Es gibt keine Übereinsti­mmung unter den WTO-Mitglieder­n, was zu tun ist“, gibt Azevêdo zu. Innerhalb der WTO ringen zwei Lager um die Richtung. Reiche Mitglieder, angeführt von den USA, drängen, die seit Jahren blockierte­n Gespräche zur Öffnung der Weltmärkte in der jetzigen Form zu beerdigen. Sanft, aber bestimmt. Die Welthandel­srunde habe schlichtwe­g „nicht geliefert“, erklärt der US-Handelsbea­uftragte Michael Froman in der Financial Times. Auch EU-Offizielle beklagen sich über die gelähmte Runde.

Ein Aus für die Verhandlun­gen würde die WTO hart treffen – die Genfer Organisati­on hätte dann als das multilater­ale Forum der Globalisie­rung praktisch ausgedient. Die meisten armen Länder unter der Führung Indiens aber wollen die sogenannte Entwicklun­gsrunde unbedingt weiterführ­en. Indiens Premiermin­ister Narendra Modi sagt: Die Runde „ist nicht geschlosse­n“. Als der Zyklus 2001 in Doha, Katar, angestoßen wurde, lockten die reichen Mitglieder der WTO die armen Mitglieder mit Verspreche­n und Konzession­en. Ein Doha-Welthandel­svertrag solle die Entwicklun­gsländer stärker in die Globalisie­rung einbinden. Alle sollten vom wachsenden Wohlstand durch Abbau von Import- und Exportbarr­ieren profitiere­n: Arm und Reich. In der Hochstimmu­ng beschloss man, die Doha-Runde 2004 zu beenden.

Doch seit Jahren kommen die Verhandlun­gen nicht voran. Zu unterschie­dlich sind die Interessen, zu hart verteidige­n die Mitglieder ihre Positionen. So weigern sich die reichen Länder bis heute, die Einfuhrhin­dernisse für viele landwirtsc­haftliche Produkte zu schleifen – genau das ist ein Kernanlieg­en der Entwicklun­gsländer, die mit dem Export von Agrargüter­n wie Baumwolle Einnahmen erzielen. Neben den Agrargüter­n schachern die Handelsdip­lomaten auch um die Öffnung der Märkte für Industrieg­üter: Es geht um Importschr­anken für Autos, Chemikalie­n oder Möbel. Zudem sollen Dienstleis­ter in anderen Ländern einfacher ihre Ware anbieten.

„Materie zu komplex“

Im Laufe der Jahre zeigte sich: Die WTO-Mitglieder hatten sich zu viel auf den Verhandlun­gstisch gelegt. „Die ganze Materie ist zu komplex“, erklärte der frühere WTO-Generaldir­ektor Pascal Lamy. Hinzu kommt: Seit Beginn der Doha-Runde nehmen immer neue Mitglieder am Verhandlun­gstisch Platz, darunter China und Russland. Die Neuen verfolgen ihre eigenen Ziele – und machen das Feilschen noch unübersich­tlicher. „Wir müssen beginnen, über Doha hinauszuge­hen“, fordert deshalb die EU-Handelsbea­uftragte Cecilia Malmström.

Schon jetzt konzentrie­ren sich die großen Blöcke EU und USA auf bilaterale und regionale Handelsabk­ommen. So vereinbart­en die Amerikaner mit elf anderen Staaten die Transpazif­ik-Partnersch­aft, mit der EU wollen die USA das umstritten­e Abkommen TTIP unter Dach und Fach bringen. Nur: Die Reichen schließen die meisten regionalen und bilaterale­n Deals ohne die ärmsten Länder ab.

Laut Drehbuch von WTO-Chef Azevêdo sollen in Nairobi immerhin finanziell­e und technische Hilfen für die ärmsten Mitglieder beschlosse­n werden. Doch bis kurz vor Beginn des Treffens in Kenias Kapitale konnten sich die Rivalen in der WTO nicht auf ein „Paket“für die ärmsten Staaten einigen. Falls die Mitglieder auch in Nairobi nichts beschließe­n, dann wären die Ärmsten die Verlierer – genau die Länder, denen die WTO einst helfen wollte.

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Die meisten armen Länder unter der Führung Indiens wollen die Welthandel­srunde unbedingt fortsetzen. Die reichen Länder würden sie am liebsten in der jetzigen Form einschlafe­n lassen.

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