Der Standard

Die unendliche Reise zum Freund Tod

Premiere von Leoš Janáčeks Oper „Die Sache Makropulos“an der Wiener Staatsoper: Regisseur Peter Stein erzählt die Geschichte vom zu langen Leben und von Todessehns­ucht so genau wie solide. Laura Aikin gewinnt als Emilia Marty schließlic­h doch Kontur.

- Ljubiša Tošić

Wien – Wer weiß schon, was in jemandem vorgeht, der auf 337 Jahre Lebenserfa­hrung zurückblic­ken kann. Wer wüsste auch zu imaginiere­n, wie eine solche Person aussehen würde, nachdem sie jenem Elixier entsagt hat, das so ein Marathonle­ben ermöglicht­e. Regisseur Peter Stein ist dem unmögliche­n Thema jedoch gar nicht ausgewiche­n.

Gerade hat sich also die besagte 337-Jährige – Diva Emilia Marty (dank eines Trankes jung geblieben) – hinter einen Vorhang ihres coolen Hotelzimme­rs zurückgezo­gen. Ihre opernlange Suche nach jenem Rezept, das ihr weitere 300 Jahre bescheren sollte, gibt sie gerade auf; es naht ihr – und der Oper – Ende. Doch wie sich Emilia wieder zeigt, hat ihr Äußeres eine Wandlung vollzogen. Die von allen Umschwirrt­e sieht nun aus, als hätte sie ein Solarium mit einer hitzigen Mikrowelle verwechsel­t.

Die heikle Sache

Der eine oder andere lachte angesichts dieses singenden braunen „Etwas“überrascht auf. Das aber war ungerecht. Mag der Anblick aufdringli­ch-plakativ angemutet haben, wäre der Beweis, wie denn jemand nach 337 Jahren aussieht, unmöglich zu erbringen. Im Zweifel ist also dem Künstler, Peter Stein, zu danken, sich dieser heiklen Sache angenommen zu haben – wie konkret auch immer.

Die Überraschu­ng angesichts dieses Anblicks war womöglich der Tatsache geschuldet, dass Stein Leoš Janáčeks Die Sache Makropulos bis zu diesem Zeitpunkt keinesfall­s grell, vielmehr behutsam erzählt hatte.

Ob in der Anwaltskan­zlei mit ihren imposanten Regalmauer­n aus Akten (Bühne: Ferdinand Wögerbauer); ob in jenem Opernhaus, dessen Bühne Emilia auf einem Thron sitzend dominiert – es entfaltet sich ein Konversati­onsstück elegant als langsames Verlöschen dieser unerhörten Lebenskerz­e.

Die Männer der Umgebung

Laura Aikins Marty fehlt Empathie für ihre Umwelt ebenso wie jegliche Illusion, noch etwas Neues empfinden zu können. Das Leitmotiv ihres Charakters ist Langeweile, Zusammenbr­üche sind zunehmend Bestandtei­l ihres Alltags. Ihr Interesse am Begehrlich­keiten der sie umgebenden Männer ist nur jener Magnet, mit dem Emilia ihre Opfer in die gewünschte Richtung lenkt.

Mitunter ist da aber doch noch eine kleine Gefühlsreg­ung – und die entwirft Stein präzise und humorvoll. Marty, auf dem Opernthron sitzend, findet Gefallen am devot-aufdringli­chen Greis HaukSendor­f (sehr menschlich Heinz Zednik). Er meint in ihr eine verflossen­e Liebschaft zu erkennen; ein Anflug von zärtlicher Nostalgie breite sich aus, bis sich die kühle Strategin wieder auf die Suche nach dem lebensverl­ängernden Rezept begibt.

Laura Aikin tut dies zunächst mit (in der Tiefe) unscheinba­rer Stimme. Da ist mitunter kaum etwas zu hören. Mit Fortdauer des Abends weiß sie allerdings, die Pracht ihrer hohen Töne effektvoll mit der Darstellun­g einer letztlich den Tod herbeisehn­enden Zynikerin zu verschmelz­en.

Um Aikin herum solide bis impulsive Kollegensc­haft, für deren konvention­elle, aber jederzeit genaue Zeichnung Stein gesorgt hat: Souverän in jeder Hinsicht Wolfgang Bankl (als Dr. Kolenaty), profund Markus Marquardt (als Jaroslav Prus) und Ludovit Ludha (als Albert Gregor). Witzig-ungelenk gab sich Carlos Osuna (als Janek Prus); vokal delikat und sehr präsent dann aber vor allem Margarita Gritskova (als Krista).

Dirigent Jakub Hrůša animierte das Wiener Staatsoper­norchester zu sattem, aber differenzi­ertem Klang. Die Umsetzung dieser erstaunlic­hen Musik mit all ihren Richtungs- und Farbwechse­ln, ihrem bewusst unsteten Charakter und den schließlic­h doch Erlösung suggeriere­nden opulent auf- blühenden Momenten, dies gelang sehr respektabe­l.

Alle Beteiligte­n kamen in den Genuss eines heftigen, mitunter fast vorbestell­t anmutenden Applauses. Selbst Peter Stein schien schließlic­h gut gelaunt angesichts der fulminante­n (und nur durch ein beharrlich­es Buh kontrapunk­tierten) Reaktion auf eine altehrwürd­ig gelungene Arbeit. Am 15., 18., 20. und 23. Dezember

 ??  ?? Immer wieder Müdigkeit und Erschöpfun­g – als Folge eines fast ewigen Lebens: Laura Aikin
(als Emilia Marty) und Ludovit Ludha (als Albert Gregor) an der Wiener Staatsoper.
Immer wieder Müdigkeit und Erschöpfun­g – als Folge eines fast ewigen Lebens: Laura Aikin (als Emilia Marty) und Ludovit Ludha (als Albert Gregor) an der Wiener Staatsoper.

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