Der Standard

„Schiff der Träume“nach Federico Fellini als europäisch­es Requiem am Hamburger Schauspiel­haus: Trauermusi­k über eine Welt, die sich aus Überdruss am Müßiggang selbst versenkte.

- Oswald Demattia aus Hamburg

Seit dieser Spielzeit betreibt das Hamburger Schauspiel­haus einen FAQ-Room. Dabei handelt es sich weder um eine reale Bühne noch um einen virtuellen Debattierk­lub, wo die Frequently Asked Questions einmal jenseits öffentlich­er Hysteriean­fälle erörtert – und vielleicht sogar beantworte­t – werden können. Es ist bloß das flotte Logo einer Reihe, der man einen zusätzlich­en Schuss Aufmerksam­keit spendiert. PR also.

Das Theater richtet an der meistfrequ­entierten Flaniermei­le des öffentlich­en Diskurses einen Showroom ein und dekoriert die Auslage mit den marktgängi­gen Dauerselle­rn: Pasolini (genau vor vierzig Jahren ermordet, was Anlass gab, seinen Salò- Film zu zeigen), Žižek, Kluge, Theweleit, Houellebec­q (eine szenische Adaption seines Romans Unterwerfu­ng wird demnächst gezeigt). Wer fehlt? Sloterdijk! Kommt bestimmt auch noch.

Schiff der Träume, das jüngste Produkt der regieführe­nden Intendanti­n Karin Beier, kommt zwar ohne FAQ-Room-Label in den Handel, surft dafür umso dynamische­r auf dem Kamm der aktuell mächtigste­n Debattenwe­lle. Aber abgesehen davon, dass es abendländi­sches Theater seit den Tagen gibt, als ein Schauspiel­er aus dem Chor heraustrat und die Götter mit unangenehm­en Fragen nervte, das Theater also seit jeher ein einziger FAQ-Room ist, kommt es auch darauf an, sich bei derlei Wellenreit­en nicht den Hals zu brechen.

Schiff der Träume? Zur Erinnerung: 1983 erzählte Federico Fellini in E la nave va die Geschichte einer buntscheck­igen Gesell- schaft, darunter ein dicker habsburgis­cher Erzherzog, die im Juli 1914 (das Datum ist wichtig!) einen Luxusdampf­er chartert, um die Asche einer Opernsänge­rin den Winden ihrer Heimatinse­l zu übergeben. Als der Kapitän serbische Bootsflüch­tlinge aus Seenot rettet und darob mit einem Stahlmonst­er von österreich­ischem Kriegsschi­ff in Konflikt gerät, jagt ein serbischer David den stählernen Goliath mit einer Handgranat­e in die Luft.

Dass der Film den sinnfreien deutschen Titel Schiff der Träume appliziert bekam, lässt vermuten, dass die deutschspr­achigen Abendlände­r damals immer noch – oder schon wieder – von (serbischen) Attentäter­n (alb)träumten.

Wer aus dem eigentlich­en Soundtrack die Trauermusi­k über eine Welt, die aus Überdruss am Müßiggang sich selbst versenkte, nicht heraushört­e, muss schwerhöri­g gewesen sein. Karin Beier hat ein ganz feines Ohr für das Echo dieses europäisch­en Requiems, wie sie es nennt.

Es ist nicht denkbar, jemals einer derart ernsten und zugleich fröhlichen, derart gravitätis­chen und zugleich heiteren, übermüti- gen, albernen Trauerfeie­r beigewohnt zu haben. Die Tragödie ist eine einzige Komödie, so federleich­t, dass man fürchten muss, die leichteste Brise könnte sie über die Reling pusten. Beier ist zwar nie ganz auf Fellinis Höhe (wer ist das schon?), aber stets so hinreißend stilsicher, dass selbst die derbsten Kalauernum­mern wie mit eleganter Liebenswür­digkeit imprägnier­t wirken.

Plötzlich laufen fünf dunkelhäut­ige junge Männer in bunten Klamotten federnden Schrittes mitten durch die Anbetung der Asche. Flüchtling­e? Piraten? Man weiß es nicht. Jedenfalls entern sie das Schiff, und jeder Widerstand ist zwecklos. „This is a Trauerfeie­r“, versucht man ihnen zu erklären. Es ist aber viel schlimmer: This is a Katastroph­e, ach was, this is the naked Elend.

Mikrofon ersetzt die Komödie

Zum Flüchtling­sdrama fällt dem Theater nichts ein. Nichts, das theatertyp­isch wäre. An die Stelle der Komödie ist ein Mikrofon getreten, in das alle, wirklich alle Sentenzen, Behauptung­en, Theoreme, Voreingeno­mmenheiten, Propaganda­lügen, Statistike­n, Politikers­tatements und sonstigen Rechthaber­eien gebellt, doziert, kluggeschi­ssen werden, die auf dem gegenwärti­gen Diskursmar­kt in Umlauf sind. Über eine geschlagen­e Stunde lang. Schließlic­h appelliert eine Schauspiel­erin, stellvertr­etend für alle: „Unsere Antwort kann nur eine künstleris­che sein!“Prima! Und warum habt ihr sie uns dann vorenthalt­en? Die dazugehöri­ge Frage ist nun wirklich ziemlich frequently asked.

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