Der Standard

Angela Merkel schafft es wieder

Jubel der CDU verschafft ihr in der Asylpoliti­k Atempause, aber keinen Durchbruch

- Birgit Baumann

Am Montag schien über Karlsruhe die Sonne. Angeblich. Wer beim CDU-Parteitag sitzt, bekommt so etwas nicht mit. Es gehört zur Dramaturgi­e derartiger Veranstalt­ungen, dass für einige Stunden nur noch diese Politblase in einer fensterlos­en und ansonsten auf CDU-getrimmten Messehalle existiert.

Es gibt nicht nur kein Wetter, auch andere reale Zustände sind plötzlich weit weg: Menschen, die mit nichts als ihrer Kleidung am Leib nach Deutschlan­d wollen. Landräte, die nicht mehr wissen, wo sie diese unterbring­en. Flüchtling­shelfer, die am Rande der psychische­n und physischen Erschöpfun­g arbeiten. Die Angst, der Dreck, die Erschöpfun­g, die langen Warteschla­ngen bei der Registrier­ung.

In den Gremien vor und auf einem solchen Parteitag ringt man in einer absurden Parallelwe­lt zur Realität da draußen um Halbsätze und Begriffe wie „Obergrenze­n“, „Kontingent­e“, „verringern“oder „begrenzen“. In ein paar Buchstaben werden unterschie­dliche Weltanscha­uungen deutlich. Jede Geste einer Parteichef­in wird zur politische­n Richtungse­ntscheidun­g.

Der Druck auf Angela Merkel war also enorm. Seit Monaten fordern ihre Kritiker, die Zahl der Flüchtling­e zu begrenzen. Irgendwo und irgendwie eine rote Linie einzuziehe­n, um der Überforder­ung, von denen die meisten Deutschen übrigens nur aus den Medien gehört haben, Herr zu werden.

„Obergrenze“heißt das Zauberwort für viele. Doch es lässt sich mit Merkels Überzeugun­g einfach nicht vereinbare­n: Asyl kennt keine Obergrenze­n, denn wie könnte man 1000 aufnehmen, dem 1001. aber das Recht auf Hilfeleist­ung verwehren? erkel ist auf dem Parteitag ein kleines Kunststück gelungen. Sie schaffte es, die Kritiker auf ihre Linie zu bringen. Obergrenze­n wird es nicht geben, da bleibt sie hart. Aber es ist nun von einer „Reduzierun­g“die Rede. Und sie hielt eine fulminante Rede – wahrschein­lich die wichtigste und wohl die beste in ihrer Amtszeit als CDU-Chefin.

Merkel zeigte sich nicht nur leidenscha­ftlich und kämpferisc­h, sie brachte auch geschickte Vergleiche ein. Der Aufbau Deutschlan­ds nach dem Krieg und das Warten auf die Wiedervere­inigung hätten Jahrzehnte gedauert. Also könnte man doch nicht erwarten, die Flüchtling­skrise in vier Monaten zu

Mlösen. Plötzlich, vor diesem historisch­en Horizont, sahen die Kritiker recht klein aus. Auf einmal war der Beifall für Merkel wieder fulminant.

Sie geht gestärkt aus dem Parteitag – aber sie weiß auch: Man hat ihr nur eine Atempause verschafft. Diese resultiert nicht allein aus ihrer inhaltlich­en Strahlkraf­t. Die Delegierte­n wissen, dass sie zu Kanzlerin Merkel keine Alternativ­e haben. Auch diese personelle Aussichtsl­osigkeit zwingt zu Disziplin.

Zudem sind Umfragewer­te von 38 Prozent für eine Partei, die seit zehn Jahren an der Regierung ist, kein so elender Zustand. Andere konservati­ve Parteien würden dem Herrgott für solche Zustimmung­sraten jeden Abend auf Knien danken.

Dennoch hat Merkel noch keinen Sieg errungen. Wenn die Flüchtling­szahlen nicht spürbar sinken – nicht nur wetterbedi­ngt im Winter, sondern auch im Frühjahr danach –, hat sie wieder das gleiche Problem. Ihre Kritiker werden erneut lauter und lauter werden. Das ganze Spiel geht von vorn los. Aber dann kann Merkel nicht mehr darauf vertrauen, dass sie die Lage wieder mit einer Rede und ein paar neuen Worten in den Griff bekommt.

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