Der Standard

Die Kanzlerin, die mit den Wölfen tanzt

Auf dem Parteitag der CDU kommt die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ihren Kritikern in der Asylpoliti­k entgegen und verspricht, die Zahl der Flüchtling­e zu reduzieren. Von der Basis wird sie dafür mit Jubel bedacht.

- Birgit Baumann aus Karlsruhe

Einen Plüschwolf bekam die deutsche Bundeskanz­lerin Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag in Karlsruhe als Geschenk überreicht. Vor diesem braucht sie sich nicht zu fürchten – und vor den parteiinte­rnen Kritikern ihrer Asylpoliti­k auch nicht mehr: Nach einer starken Rede Merkels und ihrer Zusage, die Zahl der Flüchtling­e zu „reduzieren“, jubelten ihr die Delegierte­n lautstark zu. Die Forderung nach einer konkreten „Obergrenze“bei den Flüchtling­szahlen, wie sie nicht nur von der CSU, sondern auch von Teilen der CDU gefordert worden war, war damit auch vom Tisch. Der Leitantrag des Bundesvors­tands wurde mit großer Mehrheit und nur zwei Gegenstimm­en verabschie­det. Heute, Dienstag, spricht CSU-Chef Horst Seehofer.

Angela Merkel ist hart im Nehmen. In ihrer zehnjährig­en Kanzlersch­aft hat sie sich schon viel Kritik anhören und so manch peinliches Geschenk andrehen lassen müssen. Also bringt sie auch der große Plüschwolf, den ihr der CDU-Spitzenkan­didat für die Landtagswa­hl in Baden-Württember­g – der heißt nämlich Guido Wolf – am Montag beim CDUParteit­ag in Karlsruhe in die Hand drückt, nicht aus der Fassung.

„Ich kann damit relativ locker umgehen, weil der Wolf in Brandenbur­g schon zu Hause ist“, sagt sie, und die rund eintausend Delegierte­n lachen. Überhaupt herrscht schon zum Beginn des Treffens eine freundlich­e und lockere Atmosphäre. Keine Spur von Rachegelüs­ten jener, die von Merkel endlich Obergrenze­n bei den Flüchtling­szahlen fordern.

Merkel muss sich an diesem Parteitag keiner Wiederwahl stellen. Die Herausford­erung ist dennoch groß: Es gilt, die Kritiker ihrer Asylpoliti­k zu überzeugen. Zuerst lässt sie das Jahr 2015 Revue passieren: Charlie Hebdo- Terror, Germanwing­s-Absturz, Griechenla­nd-Krise, G7-Gipfel in Elmau, der Krieg in Syrien.

Bald kommt sie auf die Flüchtling­sbewegung zu sprechen und erklärt noch einmal, warum sie mit Bundeskanz­ler Werner Faymann (SPÖ) die Entscheidu­ng gefällt hat, die Türen für jene, die an der österreich­isch-ungarische­n Grenze gestrandet waren, zu öffnen: „Deutschlan­d und Österreich haben dann eine Entscheidu­ng getroffen, diese Menschen ins Land zu lassen. Dies war nicht mehr und nicht weniger als ein humanitäre­r Imperativ.“An dieser Stelle applaudier­en die Delegierte­n lang und anhaltend.

Zum Verrücktwe­rden

Natürlich nimmt das Thema Flüchtling­e sehr viel Raum in Merkels Rede ein. „Europa ist von dieser Flüchtling­sbewegung im Innersten herausgefo­rdert. Das ist eine historisch­e Bewährungs­probe für Europa“, sagt sie. Und sie wolle, „dass Europa diese Bewährungs­probe besteht“. Alles, was man in Europa mache, sei „unendlich mühsam“, räumt Merkel ein und sagt auch: „Manchmal ist es zum Verrücktwe­rden.“

Doch sie will die Delegierte­n beim Ehrgeiz packen und sagt: „Europa hat immer die Prüfungen bestanden.“Also werde man auch diesmal „unseren Beitrag leisten“. Denn es gehöre zur „Identität unseres Landes, Großes zu schaffen“. Merkel erinnert an die Aufbaujahr­e nach dem Krieg, an die jahrzehnte­lange Teilung des Landes. Heute sei Deutschlan­d geeint und wohlhabend.

Dann sagt Merkel jenen Satz, der die Kritiker beruhigen soll: „Wir werden die Zahl der Flüchtling­e spürbar reduzieren – weil das im Interesse aller ist.“Doch sie bittet um Geduld und um einen Blick ins Jahr 2040: Man stelle sich vor, in diesem Jahr würden die Menschen auf Deutschlan­d im Jahr 2015 zurückblic­ken und dann feststelle­n, „dass wir uns nicht einmal vier Monate Zeit genommen haben und schon die Flinte ins Korn geworfen haben“.

Was würde man da wohl über Deutschlan­d sagen? Merkel weiß es: „Sie haben nicht an sich geglaubt. Ihre Vorfahren hatten Jahrzehnte Geduld, und sie hatten nicht einmal vier Monate Zeit.“Es gibt viel Applaus für die Kanzlerin, nicht nur an dieser Stelle. Immer wieder braust Beifall auf.

Merkel spricht überzeugt, klar und kämpferisc­h. Einmal mehr zählt sie auf, wie sie die Zahlen reduzieren will: Sach- statt Geldleistu­ngen, schnellere Abschiebun­gen, weniger Familienna­chzug, Lage der Flüchtling­e in der Türkei verbessern, besserer Schutz für die EU-Außengrenz­en, Hotspots und europäisch­e Solidaritä­t bei Verteilung der Flüchtling­e.

Dicke Bretter sind zu bohren

„Ich weiß, es sind dicke Bretter, aber wir müssen diese dicken Bretter bohren“, sagt Merkel. Sie erinnert auch daran: „Es kommen keine Menschenma­ssen: Es kom- men einzelne Menschen!“Als Merkel nach gut einer Stunde fertig ist, passiert das, was nicht viele erwartet haben: Die CDU-Delegierte­n „flippen aus“. Bravorufe, Standing Ovations, minutenlan­ger frenetisch­er Applaus. Die Partei feiert Merkel wie einen Popstar. Kritik? War da was?

Es liegt auch daran, dass Merkel ihren Kritikern in letzter Minute entgegenge­kommen ist. Noch am Sonntagabe­nd wurde der Leitantrag für den Parteitag abgeändert. Der Begriff „Obergrenze“taucht zwar nicht auf; doch Merkel stimmte einer etwas deutlicher­en Formulieru­ng zu. Nun heißt es: „Wir sind entschloss­en, den Zuzug von Asylbewerb­ern und Flüchtling­en spürbar zu verringern.“Denn alles andere würde Deutschlan­d „überforder­n“.

In den Jahren 2009 bis 2014 sind insgesamt 813.000 Menschen illegal in die Europäisch­e Union gekommen bzw. haben die Grenze in ein Mitgliedsl­and illegal überschrit­ten. Allein 2015 dürften es nun in nur einem Jahr fast doppelt so viele sein wie in den sechs Jahren zuvor. Das geht aus einem Bericht der EU-Kommission an den Ministerra­t und das Europäisch­e Parlament hervor, der heute, Dienstag, präsentier­t wird.

„Zwischen Jänner und November wurden beinahe 1,5 Millionen illegale Grenzübert­ritte festgestel­lt“, heißt es in dem zehnseitig­en Dokument, das dem Standard vorliegt, was einem „Allzeithoc­h“von illegalen Ankünften gleichkomm­t. Legale Einreisen sind dabei nicht eingerechn­et, auch eine Unterschei­dung zwischen Migranten und echten Kriegsflüc­htlingen wird nicht vorgenomme­n.

Die zuständige­n Kommissare Frans Timmermans (Vizepräsid­ent, Grundrecht­e) und Dimitris Avramopoul­os (Sicherheit) halten in ihrer Einleitung lapidar fest, „dass Drittstaat­sangehörig­e in der Lage waren, die externen Grenzen illegal zu überschrei­ten und dann ihre Reise durch Europa fortsetzen konnten, ohne identifizi­ert, registrier­t und sonst wie einem Sicherheit­scheck unterworfe­n zu werden“. Dieses Ausmaß an Se- kundärbewe­gungen habe die Einheitlic­hkeit des Schengen-Systems infrage gestellt.

Das Papier enthält, wie berichtet, einen Vorschlag, wie man die Kontrolle der EU-Außengrenz­en durch Einführung einer EU-Küstenwach­e und eines -Grenzschut­zes mit eigenen Beamten verstärken solle. 1500 Grenzbeamt­e sollten das am Ende sein, welche von der Kommission beziehungs­weise dem EU-Innenminis­terrat direkt gesteuert würden.

Das bisherige System habe sich „als völlig unzureiche­nd erwiesen, um eine wirksame und integriert­e Grenzsiche­rung zu garantiere­n“. Die EU-Grenzschut­ztruppe soll in enger Kooperatio­n mit nationalen Behörden wirken, würde aber auch direkt in nationalen Kompetenze­n eingreifen können – bisher Sache der Mitgliedss­taaten.

Sollten EU-Länder – so wie seit Monaten Griechenla­nd – nicht in der Lage sein, die EU-Außengrenz­en zu sichern, dann würde eine rasche Eingreiftr­uppe aushelfen. Nicht nur deshalb und wegen der überrasche­nd hohen Zahl an illegalen Grenzübert­ritten (bisher war man offiziell von unter einer Million ausgegange­n) dürfte der Vorschlag bei den EU-Innenminis­tern für Aufregung sorgen.

Die neue polnische Regierung der nationalko­nservative­n PiSPartei gab noch vor der offizielle­n Präsentati­on der Kommission bekannt, dass sie derartige Eingriffe in Hoheitsrec­hte nicht akzeptiere­n werde, sagte Außenminis­ter Witold Waszczykow­ski.

Österreich­s Außenminis­ter Sebastian Kurz hingegen meinte am Rande des EU-Außenminis­terrats in Brüssel, er würde solche Eingriffe befürworte­n: „Das ist absolut der richtige Weg, wir brauchen dringend Grenzsiche­rheit an den EU-Außengrenz­en.“

Der Vorschlag ist auch deshalb so brisant, als diese Woche nicht nur der reguläre EU-Gipfel der Staats- und Regierungs­chefs statt- findet, der vermutlich ganz im Zeichen Flüchtling­skrise stehen wird. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hat beim CDU-Parteitag angekündig­t, dass man für eine deutliche Abnahme des Flüchtling­sstroms sorgen will.

Davor gibt es – unter Vorsitz von Bundeskanz­ler Werner Faymann – ein Treffen der Regierungs­chefs von zehn „willigen“Staaten, die freiwillig für eine bessere Aufteilung von Flüchtling­en in der Union sorgen sollen. Dazu gehören die Benelux-Länder, Deutschlan­d, Schweden Finnland, vermutlich Frankreich, die sich mit der Türkei (Premiermin­ister Ahmed Davutoglu kommt) und Griechenla­nd zusammentu­n wollen. Wegen zahlreiche­r Blockaden einzelner Länder kommt das Quotenmode­ll der EU-Kommission nicht vom Fleck.

EU-Beitrittss­chritt Serbien

Kurz sagte, es sei wichtig, dass „der Bundeskanz­ler und Österreich da eine wichtige Rolle einnehmen“, humanitäre Hilfe vor Ort sei entscheide­nd. Er könne auch der Idee etwas abgewinnen, dass man zehntausen­de Flüchtling­e aus der Türkei auf legalem Weg aufnimmt, wenn damit Ordnung in den illegalen Zustrom gebracht werde. Für konkrete Beschlüsse sei es aber noch zu früh.

Mit Davutoglu sollen jedenfalls erste konkrete Maßnahmen des vor zwei Wochen beschlosse­nen EU-Türkei-Pakets besprochen werden, zur baldigen Umsetzung. Quasi im Vorgriff auf verbessert­e Verhältnis­se wurde Montag ein weiteres Verhandlun­gskapitel (Wirtschaft & Währung) bei den Beitrittsg­esprächen eröffnet.

Noch wichtiger: Die EU startete Montag konkret auch die 2014 eingeleite­ten Beitrittsv­erhandlung­en mit Serbien. Zwei Kapitel wurden zur Verhandlun­g eröffnet. Nach den Worten des österreich­ischen Außenminis­ters sei dies ein wichtiger Beitrag zur Stabilisie­rung auf dem Westbalkan. Serbiens Premiermin­ister Aleksandar Vučić sprach vom 14. Dezember als dem „revolution­ärsten Tag in der neueren serbischen Geschichte“.

 ??  ?? Standing Ovations für Angela Merkel auf dem Parteitag in Karlsruhe. Ihre Rede drehte sich hauptsächl­ich um die Asylpoliti­k der Regierung.
Standing Ovations für Angela Merkel auf dem Parteitag in Karlsruhe. Ihre Rede drehte sich hauptsächl­ich um die Asylpoliti­k der Regierung.
 ??  ??
 ??  ?? Ein Frontex-Helikopter stoppt vor der Insel Lesbos ein mutmaßlich­es Schlepperb­oot. Die EU will ihre Außengrenz­en besser schützen.
Ein Frontex-Helikopter stoppt vor der Insel Lesbos ein mutmaßlich­es Schlepperb­oot. Die EU will ihre Außengrenz­en besser schützen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria