Algengift lässt Seelöwen stranden
Wenn Wale und andere Meeresbewohner die Orientierung verlieren, könnte auch ein Algengift dafür verantwortlich sein. Das behaupten Biologen aus Kalifornien, die über mehrere Jahre hinweg Seelöwen untersuchten.
Washington/Wien – Anfang Dezember erst sorgte ein Bericht aus Chile weltweit für Entsetzen unter Natur- und insbesondere Walschützern: Bereits etliche Monate zuvor waren 337 Wale rund 2000 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago de Chile gestrandet. Aufgrund der Unzugänglichkeit der Region hatte man die Kadaver der rund zehn Meter großen Tiere lange Zeit nicht entdeckt.
Katastrophen dieser Dimensionen sind sehr selten. Dass Meeressäuger, aber auch Seevögel die Orientierung verlieren und hilflos stranden, kommt aber regelmäßig vor und stellt die Wissenschaft vor Rätsel. Biologen diskutieren eine ganze Reihe verschiedener Gründe, die zum tödlichen Fehlverhalten führen.
Viele mögliche Ursachen
Der Lärm von militärischem oder anderem Sonar gilt ebenso als mögliche Erklärung wie Kollisionen mit Schiffen. Aber auch natürliche Ursachen wie extreme Wetterbedingungen oder Gezeitenströmungen – bei Voll- und Neumond häufen sich die Strandungen – werden von der Wissenschaft diskutiert.
US-Forscher führen nun eine weitere mögliche Erklärung ins Treffen, die nach langjährigen Untersuchungen an Seelöwen ge- wonnen wurde: Womöglich spielt ein von Algen produziertes Nervengift beim Orientierungsverlust von Meeressäugern eine sehr viel größere Rolle als bisher gedacht.
Für ihre Studie im Fachblatt Science untersuchten die Forscher um Dissertant Peter Cook (University of California in Santa Cruz) 30 Seelöwen, die im Marine Mammal Center in Sausalito gepflegt wurden. So wie viele ande- re Artgenossen hatten die Tiere die Orientierung verloren und waren an den Küsten Kaliforniens hilflos gestrandet.
Unter tierärztlicher Betreuung wurden die Tiere gepflegt – und von den Forschern untersucht. Cook und seine Kollegen machten mit den Tieren zum einen Verhaltens- und Orientierungstests, um zu sehen, wie gut ihr räumliches Gedächtnis und ihr Navigations- vermögen funktionierten. Zum anderen untersuchten sie mittels Hirnscans Läsionen im sogenannten Hippocampus, einer Hirnregion, die für das Gedächtnis eine entscheidende Rolle spielt.
Diese Schäden waren durch Domoinsäure verursacht worden, das ist ein von Kieselalgen produziertes Nervengift, das auch dem Menschen gefährlich werden kann: Bei Konsum von Meeresfrüchten oder Fischen aus einer Gegend, wo Algen der Gattung Pseudo-Nitzschia blühen, kann es aufgrund der Domoinsäure zu Schädigungen des Kurzzeitgedächtnisses kommen, zu Übelkeit und Krämpfen. Solche Fälle traten zuletzt häufiger auf, weil diese Algenblüte vor Kalifornien in den letzten Jahren stark zugenommen hat.
Eindeutiger Zusammenhang
Die Wissenschafter konnten nun erstmals einen Zusammenhang zwischen dem Algentoxin, den Hirnläsionen bei Seelöwen und ihrem beeinträchtigten räumlichen Gedächtnis herstellen: Die Meeressäuger sind dem Gift naturgemäß sehr viel stärker ausgesetzt, ihr Hippocampus kann dadurch sogar stark schrumpfen. Und je größer die beobachteten Hirnschäden insbesondere am rechten dorsalen (also rückenwärts gelegenen) Hippocampus waren, desto schlechter war das Orientierungsvermögen der Tiere. Aufgrund der Schäden ließen sich auch die Heilungschancen der Tiere prognostizieren.
Einige Fragen bleiben dennoch offen: Unklar ist, wie lange und wie stark die Seelöwen dem Gift ausgesetzt sein müssen, ehe es zu irreversiblen Schädigungen kommt. Eine akute Vergiftung scheint zu wenig zu sein. Und offen ist auch, ob und wie viele der Walstrandungen sich durch Domoinsäure erklären lassen.