ZITAT DES TAGES
Der CDU-Parteitag endet für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel auch in puncto CSU versöhnlich. Horst Seehofer drängt zwar nach wie vor auf Reduzierung der Flüchtlingszahlen, aber er beharrt nicht mehr darauf, dass die Bundesregierung eine Obergrenze zie
„Es gibt kein Land der Erde,
das unbegrenzt Flüchtlinge aufnimmt.“
Unspektakulärer kann ein mit Spannung erwarteter Auftritt kaum sein. Am Dienstag stockt die Parteitagsmaschinerie der CDU in Karlsruhe plötzlich. Normalerweise wird ein Redebeitrag nach dem anderen zügig abgehandelt, man will ja auch mal wieder heim.
„Wir haben jetzt eine kleine Pause, weil wir einen Gast ankündigen“, sagt Tagungsleiter Thomas Strobl, CDU-Chef von BadenWürttemberg, plötzlich in die Stille hinein. Es ist Horst Seehofer, CSU-Chef und Ministerpräsident von Bayern, der zu früh gekommen ist. Die Delegierten sind überrascht, der Applaus ist äußerst spärlich und bescheiden.
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel geleitet Seehofer zur Bühne und lächelt ein sehr feines Lächeln. Das hier ist ihr Territorium – erst recht nach dem Triumph vom Vortag. Da haben ihr die CDU-Delegierten zugejubelt, ihren Kurs in der Asylpolitik (keine Obergrenzen) unterstützt und somit auch jene Schmach vergessen lassen, die ihr Seehofer vor drei Wochen auf dem CSU-Parteitag in München zugefügt hatte. Abgekanzelt wie eine Schülerin hat er sie auf offener Bühne, als er die Forderung der CSU nach Obergrenzen bei der Anzahl der Flüchtlinge darlegte.
Jetzt steigt Seehofer auf die Bühne der CDU. Viel war spekuliert worden im Vorfeld. Wird sich die CDU rächen? Wird sie ihn zum Horst machen? Gar auspfeifen? Seehofer begrüßt erst einmal die „liebe Angela“– erneut ist der Applaus sehr zurückhaltend. Dann sagt er: „Grüß Gott – und danke. Für meine Verhältnisse ein sehr freundlicher Empfang.“Gelächter, der Applaus wird deutlicher, erst recht als Seehofer der Kanzlerin ganz demütig schmeichelt.
Auf seinem Platz liege der Pressespiegel des ersten Parteitages. Viel Lob für Merkel. „In meiner ganzen Karriere war mir so was noch nicht vergönnt. Ich gratuliere zum Ablauf des Parteitages“, sagt er und hat die Delegierten doch für diesen Moment erreicht. Sie klatschen etwas lauter.
Jetzt lobt er auch noch die Geschlossenheit der CDU, dass sie ihren Leitantrag, der ja ausdrücklich keine Obergrenzen vorsieht, „mit nur zwei Gegenstimmen“beschlossen habe. Aber, sagt Seehofer listig: „Die CSU hat auch einen Leitantrag beschlossen – mit nur einer Gegenstimme.“
Er legt in seiner Rede, die Anträge „übereinander“, wie er erklärt. Schnellere Abschiebungen, weniger Familiennachzug, mehr Schutz der EU-Außengrenzen, Hotspots in Griechenland und Italien – in ganz vielen Punkten stimme man überein. „Angela, wir unterstützen euch in allen Bereichen“, ruft Seehofer.
Kein Kampf in Planung
Doch da gebe es eben noch den einen Punkt: Obergrenzen ja oder nein? Seehofer wirbt nicht für den CSU-Begriff der Obergrenzen. Er sagt: „Ich trete nicht in einen Kampf ein, ich gebe gar nichts auf.“Er wolle weder „schnurrendes Kätzchen noch Streithansl“sein. Denn im Grunde seien CDU und CSU ja einig, dass die Zahl der Flüchtlinge reduziert werden müsse. Seehofer: „Es gibt kein Land der Erde, das unbegrenzt Flüchtlinge aufnimmt. Auch die Bundesrepublik würde das auf Dauer nicht schaffen.“
Die Bevölkerung interessiere ohnehin nur eines: „Ob es uns gelingt, die Zahl spürbar zu reduzieren – und das bald.“In Bayern kämen nach wie vor im Schnitt 4500 Asylbewerber pro Tag an. Gehe dies so weiter, hätte man 2016 mehr Asylbewerber im Land als 2015.
Je länger Seehofer spricht, desto stärker wird der Applaus für ihn – wenngleich niemals so stark wie für die Kanzlerin am Vortag. Aber die Delegierten haben seine Botschaft verstanden: kein Streit mehr, jetzt volle gemeinsame Kraft für die Reduzierung der Flüchtlingszahlen.
Doch er wäre nicht Seehofer, wenn er nicht noch etwas hinzuzufügen hätte: „Damit ich nicht wieder höre, das wäre jetzt alles ein Kuschelkurs: Ich habe an keiner Stelle gesagt, dass unser Antrag nicht mehr gültig ist.“Dennoch geleitet ihn Merkel dann persönlich zum Ausgang. In München war das anders gewesen, damals rauschte Merkel wütend und allein durch den Nebenausgang wieder ab.
Wien–Vertreter von sechs Hilfsorganisationen schlagen Alarm: Das Erst aufnahme system von Asylsuchenden in Österreich funktioniere nicht mehr. Deshalb seien rund 7000 Personen, die eigentlich schon in Grundversor-gungs quartieren wohnen sollten, noch in Notquartieren untergebracht. Und daher dauere es statt 48 Stunden derzeit Monate, bis ein Erstgespräch stattfinde, das entscheidend dafür ist, ob jemand zum Asylverfahren überhaupt zugelassen wird. Hunderte Flüchtlinge seien zudem obdachlos.
Arbeiter-Samariter-Bund, Caritas, Diakonie, Hilfswerk, Rotes Kreuz und Volkshilfe wollen mit der Regierung einen Masterplan für die Versorgung von Flüchtlingen erarbeiten. Michael Chalupka von der Diakonie legte am Dienstag bei einem gemeinsamen Pressegespräch dar, wie man sich eine Neuregelung des„ zusammengebrochenenErst aufnahme systems“vorstellt. Demnach solle ein Erstaufnahme zentrum in jedem Bundesland eingerichtet werden. Die Kosten dafür sollten die Länder übernehmen, der Bund im Gegenzug künftig 70 Prozent der Grundv er sorgungsk osten–derzeit liegt die Aufteilung zwischen Bund und Ländern bei 60:40.
Wien und Niederösterreich hätten schon ein dem Vorschlag ähnliches Notsystem eingeführt, führte Chalupka im STANDARD- Gespräch aus. In Wien befindet sich etwa im Notquartier Lindengasse eine Anlaufstelle, in der Asylanträge gestellt werden können.
Mehr Klarheit fordern die NGOVertreter auch in Bezug auf Sprachkurse. Derzeit bestehe ein Kompetenzwirrwarr zwischen Arbeitsmarktservice (AMS), verschiedenen Ministerien und Ländern. Auf Bundesebene könne zum Beispiel das AMS als zentrale Anlaufstelle im Bund für Sprachkurse fungieren, lautet der Vorschlag. Sprachförderung solle es zudem bereits geben, bevor Asylwerber definitiv wissen, ob sie bleiben dürfen. Unter anderem auch Traumatherapieangebote, ein früherer Arbeitsmarktzugang und mehr Ressourcen für die Woh- nungssuche gehören zu den Forderungen. Wenn Schwierigkeiten nicht rasch angegangen würden, seien „soziale Probleme von morgen programmiert“, sagte Walter Marschitz vom Hilfswerk. Das berge „großen sozialen Sprengstoff“.
Regierung sammelt „Willige“
Die Innenministerin hat allerdings noch andere Sorgen: Am Dienstag wurde über deutsche Polizeipläne, die Grenzen – etwa auch mit Wasserwerfern – zu sichern (und die dann auch wieder dementiert wurden), diskutiert. Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) und Bundeskanz- ler Werner Faymann (SPÖ) sehen darin bisher nur Planspiele, Letzterer ortet weiterhin eine „vertrauensvolle“Basis mit Berlin.
Ab Freitag gibt es auch wieder direkten Zugverkehr zwischen Graz, Linz und München.
Jetzt gehe es darum, die „Willigen“in Europa zusammenzuführen (wofür Faymann die Initiative ergreift), den Kopf aus dem Sand zu nehmen und die Ärmel aufzukrempeln. So werde man gemeinsam mit der Türkei die EU-Außengrenze schützen – und Griechenland bei der Erstaufnahme und Registrierung von Flüchtlingen helfen. (cs, spri)
SCHWERPUNKT Viele Fragen in Asylpolitik offen