Der Standard

Serbien will 2019 bereit für die EU sein

Zu Beginn der Verhandlun­gen wartet mit dem Kosovo gleich die erste harte Nuss

- Andrej Ivanji aus Belgrad

„Ein großer Tag für das europäisch­e Serbien“, titelte die serbische Tageszeitu­ng Blic am Dienstag. In einer entspreche­nd feierliche­n Stimmung war auch Ministerpr­äsident Aleksandar Vučić, als Serbien am Tag zuvor in Brüssel – fast zwei Jahre nach dem Beginn der Beitrittsv­erhandlung­en – die ersten Kapitel öffnete: „Das ist für uns ein großer und bedeutende­r Tag, einer jener Tage, an denen Geschichte geschriebe­n wird und wir nicht länger von der Europäisch­en Union träumen, sondern von nun an hart arbeiten müssen, bis wir Teil der großen europäisch­en Völkerfami­lie werden“.

Vučić bedankte sich besonders für die Unterstütz­ung der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel und äußerte die Hoffnung, dass Serbien 2019 bereit für den EU-Beitritt sein werde.

Trotz der entzückten Reaktionen serbischer Regierungs­vertreter und EU-Politiker ist von einer europäisch­en Aufbruchst­immung in Serbien nichts zu spüren: Zu sehr drücken die wirtschaft­liche und soziale Misere, zu lange befindet sich das Land in einer Dauerkrise, zu oft haben serbische Politiker feierliche Verspreche­n in Bezug auf die EU nicht eingehalte­n.

Putin beliebter als Vučić

Laut jüngster Umfragen des Portals NSPM sind 46,8 Prozent der Serben für und 41,5 Prozent gegen einen EU-Beitritt; für einen Bund mit Russland sind 68,2 Prozent, während von allen ausländisc­hen Politikern der russische Präsident Wladimir Putin mit 36,1 Prozent das größte Vertrauen genießt. Der eigene Ministerpr­äsident Vučić und die Deutsche Merkel liegen mit jeweils 7,3 Prozent weit abgeschlag­en an zweiter Stelle.

Von insgesamt 35 Verhandlun­gskapiteln eröffnete Serbien am Montag Kapitel 32 zur Finanzkont­rolle und Kapitel 35, das die Normalisie­rung der Beziehunge­n zur ehemaligen serbischen Provinz Kosovo abdeckt. Besonders Kapitel 35 ist in Serbien umstritten: Dort steht, dass die EU-Kom- mission jederzeit die gesamten Beitrittsv­erhandlung­en auf Eis legen kann, falls im Normalisie­rungsproze­ss zwischen Serbien und dem Kosovo keine Fortschrit­te erzielt werden.

Es wird nicht präzisiert, was unter „Normalisie­rung“verstanden wird. Während die einen meinen, dass Serbien ohne eine formale Anerkennun­g des Kosovo nicht EU-Mitglied wird sein können, beharrt Vučić darauf, dass das von Serbien im Beitrittsp­rozess keineswegs gefordert werde. Die serbische Verfassung definiert den Kosovo als einen Bestandtei­l Serbiens.

Neben den üblichen Schwierigk­eiten bei der Eröffnung und Schließung einzelner Kapitel, lasten auf Serbien zusätzlich die engen politische­n und wirtschaft­lichen Beziehunge­n mit Russland. Laut Vučić sollte Serbien bis 2017 seine Außenpolit­ik in Einklang mit der EU bringen. Bisher weigerte sich Serbien trotz Drucks aus Brüssel, sich dem Wirtschaft­sembargo gegen Russland anzuschlie­ßen.

Man soll sich nicht gleich zu viel erwarten von dem Umstand, dass die EU mit Serbien nun konkret Verhandlun­gen über einen Beitritt aufgenomme­n hat. Nach dem Ansuchen, dem Durchleuch­ten aller gesetzlich­en und wirtschaft­lichen Strukturen des Landes und einer Empfehlung der Kommission ist das ein logischer Schritt. Man beginnt einmal mit ein, zwei sogenannte­n Kapiteln – bestimmten Verhandlun­gsmaterien. Nicht mehr.

Der serbische Premier Aleksandar Vučić sprach davon, dass er auf einen Abschluss schon 2019 hoffe. Wahrschein­lich ist das nicht. Vor 2020 wird es allein wegen der vielen Probleme, die die Union mit sich selbst und ihren Mitgliedss­taaten hat, keine neuen Mitglieder geben. Nicht nur Serbien ist (wie die Türkei) noch nicht reif. Auch die brüchige Gemeinscha­ft ist es nicht. Solche Zieltermin­e haben vor allem eine psychologi­sche Funktion für Kandidaten.

Wer ein Datum vor Augen hat, strengt sich mehr an. Viel wichtiger ist ohnehin der Prozess der Veränderun­g, der jetzt beschleuni­gt wird, die Anpassung des Bewerberla­ndes an die Standards der Union. Bei Serbien geht es zudem vor allem um eine Normalisie­rung im Verhältnis zum Kosovo und um dessen Anerkennun­g (die auch noch von mehreren EU-Staaten ausständig ist): ohne Kosovo-Lösung kein Beitritt. Es gilt die alte Regel: Die Union hat nie so großen Einfluss auf ein Land wie in den Jahren der Beitrittsv­erhandlung­en.

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