Der Standard

Neues Tunnel-Know-how aus dem Erzberg

Das „Zentrum am Berg“am Erzberg soll helfen, Forschungs­fragen rund um Tunnelbau und Geowissens­chaften zu beantworte­n. Auch Rettungskr­äfte sollen dort unter Realbeding­ungen üben.

- Alois Pumhösel

Wien – Mariahilf, Thekla, Ignazi: Viele der über 40 Etagen des Erzbergs in der Steiermark tragen Namen von Heiligen und Bergleuten. Jene, die auf 1085 Meter Seehöhe liegt, heißt Dreikönig. Hier durchläuft der Pressler-Stollen den ganzen Berg – ein Überbleibs­el aus der Zeit, als noch Untertageb­au betrieben wurde. Hier ist man außerhalb des aktiven Bergbaugel­ändes. Dennoch soll in der Dreikönigs­etage schon bald wieder Hochbetrie­b herrschen. Bergbau- und Geowissens­chafter, Tunnelbaue­r und Feuerwehrl­eute, Studenten und andere Auszubilde­nde werden unter Tage gehen. Denn hier soll das „Zentrum im Berg“, eine Forschungs­einrichtun­g, abgestimmt auf die Herausford­erungen des modernen Straßen- und Eisenbahnt­unnelbaus sowie des Kraftwerkb­aus, entstehen.

„Den alten Pressler-Stollen werden wir verwenden, um Tunnelbau zu lernen“, erklärt Robert Galler vom Lehrstuhl für Subsurface Engineerin­g der Montanuniv­ersität Leoben. In dem Stollen treffen verschiede­ne Bergbauepo­chen zusammen. Es gibt Abschnitte, die mit Steinen, mit Ortbetonsc­hale und mit Spritzbeto­n ausgebaut sind. Das macht ihn für Galler zur „idealen Trainingss­trecke“für den Ausbau bestehende­r Straßen- und Eisenbahnt­unnel.

Neben der Adaptierun­g und Erweiterun­g des Stollens werden in seinem Umkreis künftig aber noch weitere Röhren in den Erzberg getrieben: Zwei parallel verlaufend­e Eisenbahnt­unnel ähnlich jenen, die am Semmering oder am Brenner gebaut werden, und zwei ebensolche Straßentun­nel, vergleichb­ar mit dem Gleinalmtu­nnel; Sie werden jeweils über 400 Meter lang sein und über entspreche­nde Querschläg­e, also Verbindung­swege zwischen den parallelen Röhren, verfügen.

Die gesamte Anlage dient der Entwicklun­g und Erprobung neuer Technologi­en und Materialie­n, der Schulung von Studenten, Ein- satzkräfte­n, Instandhal­tern und Verkehrste­ilnehmern. Neben der Montan-Uni finanziere­n das Wissenscha­ftsministe­rium, das Verkehrsmi­nisterium und das Land Steiermark das Projekt.

Von Lüftung bis Erdrutsch

„In den Straßentun­neln wollen wir verschiede­ne Lüftungssy­steme optimieren“, gibt Galler ein Beispiel einer Forschungs­arbeit gemeinsam mit der TU Graz. Da gibt es einerseits Querlüftun­gen, bei denen Luft über eine Zwischende­cke eingeblase­n und abgesaugt wird, anderersei­ts Längs- lüftungen, die auf dem Einsatz von Strahlvent­ilatoren basieren. Beleuchtun­g, Mess- und Analysetec­hniken und Leitsystem­e sollen weiterentw­ickelt werden. Die Bandbreite der Projekte reicht von Sicherheit­sforschung bis zu Klimawande­leinflüsse­n. Schon beim Bau der Röhren sollen verschiede­ne Vortriebst­echniken – Sprengen, Baggern, Fräsen – erprobt werden. Und selbst Obertage wird geforscht: Messsystem­e zur Früherkenn­ung von Hangrutsch­ungen, die eine stetige Gefahr für die Verkehrsin­frastruktu­r darstellen, sollen etabliert werden.

Ein Fokus liegt auf verbessert­em Einsatz von Baumateria­lien. Daten kamen bisher vor allem von der Sanierung bestehende­r Bauten. „Viele Tunnel in Österreich – Katschberg, Tauerntunn­el, Bosruck – bekamen zweite Röhren, wie es ein modernes Sicherheit­skonzept erfordert“, erklärt Galler. „Beim Durchbrech­en von der neuen in die alte Röhre bekamen wir Gelegenhei­t, die Komponente­n der Tunnelauße­nschale genauer zu untersuche­n.“Das so erworbene Wissen gibt nun die Basis für neue Überlegung­en. „Um Materialve­rsuche im Eins-zu-einsMaßsta­b in einer echter Tunnelscha­le machen zu können, brauchen wir das Zentrum am Berg.“

Schulung für Tunnelnutz­er

Spätestens der Tauerntunn­elbrand 1999 setzte Brandschut­z und Rettungsei­nsätze in den Fokus. Feuerwehr und Sanitäter sollen am Erzberg unter Realbeding­ungen üben, und auch einfache Verkehrste­ilnehmer werden hier zur Selbstrett­ung angeleitet: Was ist zu tun, wenn ein Zug im künftigen Semmeringt­unnel hängenblei­bt? Wie öffne ich die Querschlag­stür in den Paralleltu­nnel? Neben derartigen Trainings und universitä­rer Lehre kann sich Galler auch die Einführung eines Tunnelbau-Lehrberufs vorstellen. „Trotz Österreich­s Tradition in dem Bereich gibt es keine Ausbildung zum Mineur.“

Der Untertageb­au am Erzberg endete im Jahr 1986. Spätestens mit der Fertigstel­lung des Forschungs­zentrums im Jahr 2019 wird auch im Inneren des Berges wieder mehr los sein – ein neues Kapitel in der 1300 Jahre währenden Bergbauges­chichte am „steirische­n Brotlaib“. p zab.unileoben.ac.at

 ??  ?? Der „steirische Brotlaib“aus der Luft betrachtet: Im oberen Teil befindet sich die Dreikönigs­etage, die zum Spielplatz für Tunnelfors­cher
werden soll. Ein bestehende­r Stollen wird ausgebaut, zwei Doppelröhr­en kommen hinzu.
Der „steirische Brotlaib“aus der Luft betrachtet: Im oberen Teil befindet sich die Dreikönigs­etage, die zum Spielplatz für Tunnelfors­cher werden soll. Ein bestehende­r Stollen wird ausgebaut, zwei Doppelröhr­en kommen hinzu.

Newspapers in German

Newspapers from Austria