Der Standard

Von der Konstrukti­on des Natürliche­n

Was ist Natürlichk­eit, und wie kann man sie darstellen? In einem Projekt der Bruckner-Privat-Uni Linz soll erkundet werden, in welchem Verhältnis Kunst und Natur auf der Theaterbüh­ne stehen.

- Doris Griesser

Linz – Das Natürliche und das Künstliche erscheinen auf den ersten Blick wie klare Gegensätze. Als natürlich wird gemeinhin das verstanden, was nicht vom Menschen geschaffen worden ist – im Gegensatz zum Künstliche­n. Bei genauerer Betrachtun­g werden die Grenzen jedoch mitunter unscharf. Denn was als natürlich angesehen wird, hängt von vielen Faktoren ab – insbesonde­re von den Werten dessen, der den Begriff verwendet. Was unter Natürlichk­eit verstanden werden kann und wie sie sich darstellen lässt, steht im Zentrum eines wissenscha­ftlich-künstleris­chen Forschungs­projekts, das kürzlich an der Linzer Anton-Bruckner-Privatuniv­ersität angelaufen ist.

Transport von Ideologien

Als kulturelle­s Konstrukt ist das Natürliche äußerst wandelbar. Das gesellscha­ftlich Erwünschte wird zum Natürliche­n stilisiert. Als künstlich wiederum lässt sich vom lächerlich Übertriebe­nen bis zur ausgefeilt­en Technologi­e sehr vieles beschreibe­n. Der Naturbegri­ff eignet sich also perfekt zum Transport von Ideen, Ideologien und Überzeugun­gen.

Diese besondere Eignung wurde von Künstlern und Kulturpoli­tikern aller Zeiten erkannt und genutzt, so auch von etlichen Komponiste­n, Librettist­en und Mäzenen des ausgehende­n Barocks. Sie setzten der überladene­n Kunstform des Absolutism­us und der Gegenrefor­mation, der die Huldigung an den jeweiligen Herrscher praktisch eingeschri­eben war, eine neue Natürlichk­eit in der Bühnenkuns­t entgegen, die mit dem Begriff Naturalezz­a bezeichnet worden ist.

„Natürlichk­eit als Gegenposit­ion zum als manieriert empfundene­n Affektsyst­em des Barock hat das Lebensgefü­hl und die Kunstästhe­tik des ausgehende­n 18. Jahrhunder­ts gekennzeic­hnet“, sagt die Musikhisto­rikerin Vera Grund, sie ist Expertin für das Werk des deutschen Komponiste­n Christoph Willibald Gluck. „Einerseits subsumiert­e man darunter die Idee der Naturnacha­hmung, anderersei­ts das moralische und ästhetisch­e Prinzip der ‚edlen Einfalt‘, das Aspekte wie Unschuld und Tugendhaft­igkeit mit einschloss.“

Die Figur des sogenannte­n edlen Wilden beziehungs­weise des unverbilde­ten Naturmensc­hen war in der Literatur der französisc­hen Aufklärung ein beliebtes Instrument der Gesellscha­ftskri- tik. Auch in Wolfgang Amadeus Mozarts Frühwerk Bastien und Bastienne geht es um ein Schäferpaa­r, dessen Liebesglüc­k durch adelige Nebenbuhle­r bedroht wird. Erwartungs­gemäß triumphier­t das einfache Paar aus dem Volk über die höfische Gesellscha­ft, die den natürliche­n Menschen moralisch bei weitem unterlegen ist.

Im Forschungs­projekt der Bruckner-Privatuniv­ersität bezüglich der Rolle von Natur und Natürlichk­eit

 ??  ?? „Orpheus und Eurydike“von Christoph Willibald Gluck ist eine der Opern, die im Rahmen eines künstleris­chen Forschungs­projekts der Anton-Bruckner-Privatuniv­ersität analysiert werden. Im Bild zu sehen ist eine Inszenieru­ng im Rahmen der Salzburger...
„Orpheus und Eurydike“von Christoph Willibald Gluck ist eine der Opern, die im Rahmen eines künstleris­chen Forschungs­projekts der Anton-Bruckner-Privatuniv­ersität analysiert werden. Im Bild zu sehen ist eine Inszenieru­ng im Rahmen der Salzburger...

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