Der Standard

Gaston Salvatore 1941–2015

Der chilenisch-italienisc­he Dichter war einer der schillernd­sten Intellektu­ellen der 1968er-Bewegung

- Andrea Schurian

Venedig – In seinem letzten Stück, Die moralische Nacht, beschäftig­te sich Gaston Salvatore mit dem existenzie­llsten Thema menschlich­en Seins: dem Sterben. „Ich suche“, sagte er bei einem Besuch in seinem venezianis­chen Palazzo mit Blick auf den Canale della Giudecca, „die Basis für eine ökonomisch­e Ethik. Die kann man nur bei Sterbenden finden, denn im Sterben sind wir alle gleich. Daraus kann eine Ethik entstehen – eine der Sterbenden.“

Aufgeführt wurde das Werk nicht. Dass er von Intendante­n und Regisseure­n weitgehend vergessen wurde, kränkte den Neffen des 1973 ermordeten chilenisch­en Staatspräs­identen Salvador Allende zutiefst. Immerhin wurden seine Stücke früher auf den wichtigs- ten Bühnen gezeigt, etwa in Bochum oder im Deutschen Schauspiel­haus in Hamburg. Und die Uraufführu­ng seines von Hans Werner Henze vertonten Gedichtzyk­lus Der langwierig­e Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer in Rom wurde europaweit im Radio übertragen.

Auch in Wien wurden seine (gesellscha­fts)politisch und zeithistor­isch relevanten Dramen gespielt. Stalin, uraufgefüh­rt 1987 am Berliner Schillerth­eater, inszeniert­e noch im selben Jahr George Tabori mit Angelica Domröse und Hilmar Thate im Theater Der Kreis. Zu einem Eklat kam es allerdings 2008 anlässlich der Ur- aufführung seines Charles-Darwin-Stückes Feuerland im Kasino am Schwarzenb­ergplatz. Regisseuri­n Tina Lanik hatte eine eigene, empfindlic­h gekürzte Bühnenfass­ung erstellt. Salvatore distanzier­te sich empört von der Aufführung. Ans Burgtheate­r kam er später dennoch des Öfteren: als streitbare­r Intellektu­eller nahm er an zahlreiche­n Podiumsdis­kussionen teil.

Geboren 1941 in Chile, dem Pass nach Italiener: Der Sohn eines italienisc­hen Aristokrat­en und einer wohlhabend­en chilenisch­en Mutter war Großbürger, Revolution­är, linker Querdenker, ein eleganter Pendler zwischen Welten und Kontinente­n, Sprachen und Kulturen. Sein literarisc­hes Werk verfasste Gaston Salvatore, ermuntert von seinem Freund Hans Magnus Enzensberg­er, auf Deutsch.

Nach seinem Jusstudium in Chile landete Salvatore dank eines Postgradua­te-Stipendium­s mitten in der Berliner Studentenb­ewegung. 1969 wurde er gemeinsam mit Rudi Dutschke wegen schweren Landfriede­nsbruches zu neun Monaten Gefängnis ohne Bewährung verurteilt. Salvatore flüchtete nach Italien. Erst als 1972 mit der Uraufführu­ng seines Stückes Büchners Tod der Neubau des Darmstädte­r Staatsthea­ters eröffnet wurde, amnestiert­e ihn der damalige Bundespräs­ident Gustav Heinemann.

Gaston Salvatore erlag, wie erst jetzt bekannt wurde, am vergangene­n Freitag einem Krebsleide­n.

 ?? Foto: Matthias Cremer ?? Gaston Salvatore, streitbare­r Dichter
und Denker.
Foto: Matthias Cremer Gaston Salvatore, streitbare­r Dichter und Denker.

Newspapers in German

Newspapers from Austria