Der Standard

Die Türkei wird kein EU-Mitglied werden

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Die EU-Kommission hat die Verhandlun­gen mit der Türkei über etliche „Kapitel“im Zusammenha­ng mit dem EU-Beitritt wieder aufgenomme­n. Deswegen wird die Türkei trotzdem nicht in absehbarer Zeit EU-Mitglied werden.

Der neuerliche Anlauf hat mit dem Pakt EUTürkei über die Begrenzung der Flüchtling­sströme von der türkischen Küste auf die griechisch­en Inseln zu tun. Er ist Teil eines Pakets – Milliarden­zahlungen, Visaerleic­hterungen und eben neu angekurbel­te Verhandlun­gen.

Daran knüpfen sich Befürchtun­gen wegen „Erpressung“durch die Türkei und dahingehen­d, dass der Preis für die Flüchtling­slösung (die noch keineswegs voll ausdiskuti­ert, geschweige denn umgesetzt ist) der Beitritt sein könnte.

Dem gegenüber stehen aber objektive Beitrittsh­indernisse, die sich nicht geändert haben. 1) Die Türkei führt Krieg im Inneren. Staatspräs­ident Erdogan fuhr ursprüngli­ch einen Entspannun­gskurs gegenüber den Kurden. Mit dem Zerfall der Nachbarsta­aten Irak und Syrien, wo sich eigenständ­ige kurdische Gebiete bilden, fürchtete Erdogan die Entstehung eines kurdischen Staates, der auch große Teile aus dem Südosten der Türkei beinhalten könnte. Seither liefern sich Armee und radikale Kurden wieder schwere Gefechte. Ein Staat mit einem Bürgerkrie­g kann nicht EUMitglied werden.

2) Die Türkei hat sich unter Erdogan zu einem autoritäre­n System mit massiven Verletzung­en der Menschen- und Bürgerrech­te entwickelt. Auch hier schien es zunächst eine Entwicklun­g zur Modernisie­rung und Liberalisi­erung zu geben, aber seit einigen Jahren geht es massiv in Richtung einer Autokratie Erdogans. Die Opposition, die kritischen Medien, unliebsame Gruppen werden verfolgt, Institutio­nen wie die Justiz gegängelt, und alles wird auf die Führerfigu­r Erdogan zugeschnit­ten. Es besteht kein Zweifel, dass Erdogan eine Mehrheit des Volkes hinter sich hat. Aber das ändert nichts am schweren Demokratie­defizit seines Regimes. Überdies vertritt Erdogan eine völkisch-religiöse Philosophi­e vom „Türkentum“, die mit einer modernen Staatsauff­assung nicht vereinbar ist. Ob der Islam jetzt ein Problem ist oder nicht – die religiöse Dominanz der Gesellscha­ft, die bereits vorhandene und noch weiter angestrebt­e, passt nicht zu einem säkularen Europa.

Erdogan wird nicht ewig herrschen. Aber die Grundlagen der türkischen Gesellscha­ft, vor allem der Nationalis­mus und autoritäre­s Denken, existieren auch ohne ihn und werden nicht so schnell verschwind­en.

3) Das Beitrittsv­ersprechen an die Türkei wurde in einer anderen politische­n Situation gegeben. Es war – vom deutschen sozialdemo­kratischen Kanzler Schröder und von den Briten – geostrateg­isch gedacht, in dem Sinn auch von den USA unterstütz­t. Diese (beiderseit­igen) geostrateg­ischen Interessen sind noch immer gültig. Die Türkei ist ein unverzicht­barer Partner. Aber sie hat auch andere , neoosmanis­che außenpolit­ische Interessen, die nicht die der EU sind. Eine enge Partnersch­aft mit der Türkei muss anders als durch einen Beitritt gestaltet werden. hans.rauscher@derStandar­d.at

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