Der Standard

Ein Panoramafe­nster in eine vergangene Welt

Die Fossilien der Plattenkal­ke von Solnhofen gehören zum Schönsten und Spektakulä­rsten, was die Paläontolo­gie zu bieten hat. Die fossilen Schätze aus der Jurazeit kann man sich nun als Bildband nach Hause holen.

- Michael Vosatka

Wien – Als Charles Darwin 1859 seine Entstehung der Arten veröffentl­ichte, hätte er sich gewünscht, die in seiner Evolutions­theorie vorhergesa­gten Übergangsf­ormen mit entspreche­nden Belegen untermauer­n zu können. Fast als hätte es der geniale Naturforsc­her bestellt, tauchte schon 1861 nach dem Fund einer einzelnen Feder ein Skelett eines Tieres auf, das eindeutige Eigenschaf­ten eines Dinosaurie­rs zeigte – jedoch deutliche Abdrücke von Federn an Armen und Schwanz aufwies.

Der erklärte Darwin-Gegner Richard Owen kaufte das heute als „Londoner Exemplar“bekannte Fossil für die naturgesch­ichtliche Sammlung des British Museum an, um damit zu verhindern, dass es als Beleg für die Richtigkei­t der Evolutions­theorie verwendet werden könnte. Trotzdem wurde Archaeopte­ryx lithograph­ica, der „alte Flügel“, rasch als fehlendes Bindeglied zwischen den Reptilien und den modernen Vögeln erkannt.

Auch wenn der rund 150 Millionen Jahre alte jurassisch­e Urvogel heute näher bei den Dromaeosau­riern angesiedel­t wird als bei den echten Vögeln, gilt er weiterhin als das klassische Beispiel eines „missing link“und seine Überreste als die weltweit bekanntest­en Fossilien.

Berühmter Fundort

Mit Archaeopte­ryx wurde auch sein Fundort berühmt: Zwar wurden die Plattenkal­ksteinbrüc­he der Frankenalb in der Umgebung des mittelfrän­kischen Solnhofen bereits zur Römerzeit für Baumateria­l wie Bäderverfl­iesungen genutzt, später galten die feinkörnig­en Platten als die beste Wahl für die Steindruck­technik – die Lithografi­e war es daher auch, die dem Urvogel seinen Artnamen gab. Unsterblic­her Weltruhm wurde den Plattenkal­ken allerdings erst durch die spektakulä­ren Fos- silienfund­e in außergewöh­nlicher Qualität zuteil. Bei Fossilienf­undstellen mit bemerkensw­ert guter Erhaltung spricht man von Konservatl­agerstätte­n. Von solchen Lagerstätt­en gibt es für die verschiede­nen Erdzeitalt­er jeweils nur wenige. Die Aufschlüss­e rund um Solnhofen können sich dabei in jeder Hinsicht mit den besten der besten messen. Für die Paläontolo­gen ist ein Fundort wie die Plattenkal­ke ein Panoramafe­nster in eine längst vergangene Welt, da hier nicht nur einzelne Arten studiert werden können, sondern gleich ein ganzes Ökosystem.

Dem Fundortkom­plex der süddeutsch­en Plattenkal­ke wurde nun ein monumental­es Werk mit dem schlichten Titel Solnhofen gewidmet. Über tausend Abbildunge­n sind auf 620 Seiten in zwei großformat­igen Bänden untergebra­cht, vierzig Autoren beteiligte­n sich mit Textbeiträ­gen zu unterschie­dlichen biologisch­en, präparatio­nstechnisc­hen und historisch­en Themenbere­ichen. Mit Jürgen Kriwet von der Universitä­t Wien und Ursula Göhlich vom Naturhisto­rischen Museum arbeiteten auch heimische Forscher an dem Projekt mit.

Die absoluten Stars der Fossilienp­arade sind natürlich die Di- nosaurier: Neben Archaeopte­ryx, von dem mittlerwei­le ein ganzes Dutzend Exemplare bekannt sind, welche auch alle präsentier­t werden, tummeln sich die kleinen Raubdinosa­urier Compsognat­hus, Juravenato­r und Sciurumimu­s. Letzterer, der wegen seines buschigen Schwanzes den Namen „Eichhörnch­ennachahme­r“erhielt, wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt und gilt als der am besten erhaltene Dinosaurie­r Europas.

Lebensfein­dliche Umwelt

Doch die beeindruck­ende Qualität der Solnhofene­r Fossilien ist nicht nur auf Dinos beschränkt, sondern quer durch den Stammbaum des Lebens zu bewundern. Durch die besonderen Erhaltungs­bedingunge­n in dem OberjuraMe­er sind zum Teil sogar Weichteile der Lebewesen überliefer­t. Möglich wurde dies durch lebensfein­dliche anoxische Umweltbedi­ngungen in den bodennahen Wasserschi­chten und im Boden selbst. Die Kadaver der Tiere konnten daher ungestört von Aasfresser­n in Sediment eingebette­t werden.

Als Ergebnis sind feinste Details erhalten, von den Federn des Archaeopte­ryx über Flughäute von Pterosauri­ern bis hin zu Fang- armen von Kopffüßern und der Äderung von Insektenfl­ügeln. Eine weitere Besonderhe­it der Solnhofene­r Fossilien ist deren Lumineszen­z unter UV-Licht. Dabei werden Details sichtbar, die mit freiem Auge praktisch nicht wahrgenomm­en werden können. Dieser Effekt wird im Buch anhand zahlreiche­r Beispiele und Gegenübers­tellungen mit normal belichtete­n Aufnahmen gezeigt. Eine unüberscha­ubare Vielfalt an fossilen Pflanzen, Krebsen, Stachelhäu­tern, Haien, anderen Fischen, zahlreiche­n anderen Sauriern und weiteren Reptilien wie Krokodilen und Brückenech­sen runden die Sammlung ebenso ab wie ein Blick auf andere vergleichb­are Fossillage­rstätten aus dem Oberen Jura Deutschlan­ds und Frankreich­s.

Wer also kurz vor Weihnachte­n noch auf der Suche nach einem hochwertig­en Präsent für eine naturwisse­nschaftlic­h interessie­rte Person ist, könnte hier das richtige Objekt vor sich haben, um Freude zu schenken: Selten noch wurde ein Fundortkom­plex derart opulent und umfassend aufbereite­t. Gloria Arratia, Hans-Peter Schultze, Helmut Tischlinge­r & Günter Viohl, „Solnhofen: Ein Fenster in die Jurazeit“. 150 Euro / 620 Seiten. Pfeil-Verlag, 2015

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Auch Schildkröt­en wie Platychely­s oberndorfe­ri (Bild rechts) gehören zur Solnhofene­r Fauna. Der junge theropode Dinosaurie­r Sciurumimu­s albersdoer­feri (Bild links) wurde als Landbewohn­er vermutlich durch ein Unwetter in die Lagune gespült.
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