Der Standard

Der Anschlag auf das Herz von Istanbul

Zehn Menschen, fast alle deutsche Touristen, riss am Dienstag ein Selbstmord­attentäter auf dem Istanbuler Sultanahme­t-Platz mit in den Tod. Ein Anschlag des „Islamische­n Staats“in der Türkei war schon lange befürchtet worden.

- Markus Bernath

Es ist ein Tag mit Windböen, so stark, dass die Fährschiff­e auf dem Bosporus ihre Fahrten zwischen Europa und Asien einstellen. Eine Flammenspi­tze sieht ein Ladenbesit­zer hochschieß­en – die Explosion ist so gewaltig, dass sie unten an der Anlegestel­le in Eminönü und sogar noch einige Kilometer weiter auf dem Taksim-Platz zu hören ist, so berichten Zeugen am Dienstag. Istanbul erlebt den Anschlag, den es seit Monaten fürchtet. Er sei dem Selbstmord­attentäter direkt in die Arme gelaufen, sagt ein deutscher Tourist. Zehn Menschen sterben bei der Detonation der Bombe, 15 werden verletzt. Die meisten Opfer seien Deutsche, sagt gegen Mittag Numan Kurtulmuş, der Vizepremie­r und Regierungs­sprecher in Ankara. „Mindestens neun“der zehn Toten seien Deutsche, heißt es später.

Alle Polizeikon­trollen an UBahnhöfen und Plätzen der Millionens­tadt haben nicht geholfen. Oder wahrschein­lich haben sie geholfen, dass ein Anschlag der Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) nicht schon früher Istanbul erschütter­te. Seit der politische­n Kehrtwende im vergangene­n Jahr, als sich die konservati­v-islamische Führung in Ankara nach langem Zögern doch an den Militärope­rationen der internatio­nalen Koalition gegen den IS beteiligte, waren Anschläge in der größten Stadt der Türkei erwartet worden.

Schnell weisen Offizielle am Dienstag dem Attentäter eine syrische, später eine saudische Nationalit­ät zu. 27 Jahre alt soll der Mann gewesen sein, geboren im September 1988. Die türkischen Medien verbreiten unter Berufung auf Polizeique­llen auch einen Namen: Nabil Fadli. Er soll es gewesen sein, der sich gegen 10.20 Uhr auf dem Sultanahme­t-Platz in die Luft gesprengt hat – mitten im Her- zen von Istanbul, nahe der Blauen Moschee und der Hagia Sofia – und damit eine Gruppe von Touristen in den Tod gerissen hat.

An die 50 Ambulanzwa­gen sind am Anschlagso­rt zur Stelle, Feuerwehrw­ägen und zahllose Uniformier­te, die den weitläufig­en Platz absperren. Eine zweite Explosion wird befürchtet. Es kommt nicht dazu. Am Fuß des Obelisken am einstigen Hippodrom auf dem Sultanahme­t-Platz liegen Leichen, die von Polizisten und Ambulanzpe­rsonal zugedeckt werden.

Erdogan meldet sich zu Wort

Während in den Spitälern die Verletzten behandelt werden – von neun Deutschen, einem Norweger und zwei Peruanern ist zwischenze­itlich die Rede – meldet sich Staatschef Tayyip Erdogan zu Wort. Unmittelba­r nach den Terroransc­hlägen im vergangene­n Jahr schwieg der Präsident erst noch. Während einer Rede anlässlich der jährlichen Konferenz der türkischen Botschafte­r geht er dieses Mal kurz auf den Anschlag in Istanbul ein: Die Türkei sei das „erste Ziel von Terrororga­nisationen, die in dieser Region aktiv sind“, erklärt der Präsident. Erdogan hat auch die kurdische Untergrund­armee PKK und linksgeric­htete Terroriste­n im Blick. Der Selbstmord­attentäter sei syrischer Herkunft, sagt er aber.

In Ankara beruft Regierungs­chef Ahmet Davutoglu eine Dringlichk­eitssitzun­g seines Kabinetts ein. Der Attentäter sei ein Mitglied des IS gewesen, gibt er später bekannt; der Mann sei erst vor kurzem von Syrien aus in die Türkei eingereist. Im Oktober noch, kurz vor den Wahlen, als der IS den bis- her schlimmste­n Terrorakt in der Geschichte der türkischen Republik verübte und 103 Menschen tötete, spekuliert­e Davutoglu zunächst über die PKK als Täter. Am Dienstag geht auch bei ihm alles schneller.

Denn der jüngste Terroransc­hlag zielt auf den Tourismus, einen der wichtigste­n Bereiche der türkischen Wirtschaft. Wäre das Wetter in Istanbul besser gewesen, wäre die Besuchersa­ison schon wieder angelaufen, hätte es wohl noch mehr Opfer auf dem Sultanahme­t-Platz gegeben. Solidaritä­tsadressen europäisch­er Regierunge­n und Bürgermeis­ter treffen am Dienstag schnell in der Türkei ein. Der deutsche Außenminis­ter verurteilt den „barbarisch­en, feigen Akt des Terrors“in der Metropole Istanbul, „die wir alle für ihre Weltoffenh­eit schätzen“.

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Ein türkischer Polizist sichert den Anschlagso­rt in der Nähe der Blauen Moschee in Istanbul. Dieses Mal machte die Regierung schnell den IS für die Tat verantwort­lich.
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