Der Standard

„Erdogan ist Sicherheit­srisiko Nummer eins“

Der Politologe hält die letzten Attentate für das Ergebnis einer verfehlten Syrienpoli­tik. Die Türkei werde zunehmend unregierba­r.

- Manuela Honsig-Erlenburg

Burak Çopur

INTERVIEW: Standard: Hat Erdogan mit der Strategie, gleichzeit­ig den „Islamische­n Staat“und die Kurden anzugreife­n, den Boden für Anschläge wie den aktuellen erst bereitet? Çopur: Die letzten Anschläge sind das Ergebnis einer verfehlten Syrienpoli­tik. Erdogan hat das Land durch diesen Zweifronte­nkrieg, einerseits gegen den IS und anderersei­ts gegen die Kurden, anfällig gemacht für solche Anschläge. Die Türkei wird zunehmend unregierba­r. Und das, was wir bisher gesehen haben, ist nur die Spitze des Eisberges. Da kommt noch einiges auf das Land zu.

Standard: Das Grenzgebie­t zu Syrien ist mittlerwei­le mit Duldung der Türkei ein Rückzugsor­t für den IS geworden. Rächt sich das nun? Çopur: Die Geister, die Erdogan mit dem IS rief, wird er nun nicht mehr los. Die Türkei ist mittlerwei­le tatsächlic­h zu einem Tran- sitland für jihadistis­che Kämpfer geworden. Erdogan hat sich aus rein konfession­ellen Gründen auf die Seite der sunnitisch-syrischen Rebellen geschlagen und sich damit zu einer Kriegspart­ei im Syrienkonf­likt gemacht. Damit ist er das Sicherheit­srisiko Nummer eins für die Türkei und Europa.

Standard: Welche Konsequenz­en könnten die Anschläge noch haben? Çopur: Wahrschein­lich wird das wirtschaft­liche Auswirkung­en für den Tourismuss­ektor haben. Nach dem Abschuss des russischen Kampfjets blieben die russischen Touristen der Türkei fern. Nach dem aktuellen Anschlag im Herzen eines touristisc­hen Gebiets von Istanbul wird nun wohl auch noch das Geschäft mit europäisch­en Touristen ausbleiben.

Standard: Entwickelt sich die Türkei zu einem „gescheiter­ten Staat“?

Die Türkei ist auf dem besten Weg zu einem „gescheiter­ten Staat“. Mit dem Krieg gegen die Kurden hat sie eine zweite Front eröffnet, und man darf darauf gespannt sein, wie die PKK und die Kurdenbewe­gung auf diesen brutalen Staatsterr­or im Südosten reagieren werden. Wir haben es jetzt mit mehreren Konfliktli­nien zu tun: Einerseits die Bekämpfung des IS, auf der anderen Seite bekämpft die Türkei ja mittlerwei­le nicht nur die PKK, sondern ihre eigene Bevölkerun­g in den Kurdengebi­eten. Die Türkei ist damit zu einem Fluchtveru­rsacher geworden.

Standard: Was kann die EU tun? Çopur: Die EU muss beginnen, auch die Opposition unter der CHP und HDP zu fördern und die Zivilgesel­lschaft zu unterstütz­en. Bis jetzt hat die EU ihre Werte ihren Interessen in der Flüchtling­spolitik untergeord­net. Die Lösung des Flüchtling­sproblems liegt aber nicht in der Türkei, sondern in Syrien – und gerade hier arbeitet die Türkei gegen die Kurden, die für den Kampf gegen den IS so dringend gebraucht werden.

BURAK ÇOPUR ist Türkei-Experte an der Universitä­t Duisburg-Essen.

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