„Eitelkeit ist ein schlechter Ratgeber“
Alexander Van der Bellen hält die europafeindliche Haltung der FPÖ für einen guten Grund, HeinzChristian Strache nicht als Kanzler anzugeloben. Das Rauchen würde er auch in der Hofburg nicht aufgeben.
INTERVIEW: STANDARD: War und ist es tatsächlich Ihr Lebensziel, in die Hofburg einzuziehen? Man hätte Ihnen eine andere Lebensplanung zugetraut, eine weniger formelle. Warum tun Sie sich das an? Van der Bellen: Ich habe mir das schon gut überlegt. In dieser Situation habe ich eine ernste Chance. Ich bin natürlich ein Außenseiter, da ich weder aus einem roten noch aus einem schwarzen Parteiapparat bin. Aber ich habe eine Chance, und die werde ich nützen.
STANDARD: Welche Rolle spielt Eitelkeit bei dieser Entscheidung? Van der Bellen: Eitelkeit ist ein schlechter Ratgeber in solchen Fällen. Ich mache mir keine Illusionen über die zeitlichen Bindungen, man nimmt ununterbrochen Termine wahr, sei es mit Ministern, sei es mit Bürgerinnen und Bürgern. Aber ich stelle mir das spannend vor, sonst würde ich das nicht machen.
STANDARD: Aber es engt einen auch sehr ein, in jeder Hinsicht. Van der Bellen: Milton Friedman sagte: „There is no free lunch.“
STANDARD: Wie groß war der Druck aus der Partei? Van der Bellen: Eva Glawischnig hat wenig verwunderlich kein Hehl daraus gemacht, dass sie sich das wünscht. Unabhängig davon habe ich mich im Herbst dazu entschlossen, das zu machen.
STANDARD: Bei der letzten Wahl, zu der Sie als Bundessprecher angetreten sind, das war 2008, fielen die Grünen von elf auf zehn Prozent zurück. Und da wurde noch kritisiert, dass der Wahlkampf zu sehr auf Sie zugeschnitten war. Jetzt wollen Sie mit einem Persönlichkeitswahlkampf punkten. Wie soll das gehen? Van der Bellen: Das ist eine ganz andere Wahl. Die Bundespräsidentenwahl ist per definitionem eine Persönlichkeitswahl. Da stehen keine Parteien zur Auswahl, sondern Personen – mit dem zusätzlichen Aspekt, dass keiner der jetzigen Kandidaten mit Sicherheit damit rechnen kann, ohne Stichwahl durchzukommen. Das wird interessant.
STANDARD: Wenn Sie eine Chance auf die Stichwahl haben wollen, müssten Sie mehr punkten als je zuvor. Sie müssten weit über das grüne Stammpublikum hinaus reüssieren. Besteht da nicht auch die Gefahr, dass Sie die Ideale der Grünen verraten und sich in Ihren Ansichten und Äußerungen verbiegen müssen? Van der Bellen: Nein, das glaube ich nicht. Was etwa das Ökologische betrifft, auf keinen Fall. Menschen machen sich Sorgen wegen des Klimawandels weit außerhalb der grünen Bewegung. Und im Übrigen trifft es auf alle Kandidaten zu, dass sie, um eine Chance zu haben, weit über das jeweilige Parteipotenzial hinaus Zustimmung finden müssen.
STANDARD: Andreas Khol hat ganz klar gesagt, dass er Heinz-Christian Strache als Kanzler angeloben würde, wenn die FPÖ stärkste Partei werden würde. Warum tun Sie sich mit dieser Frage so schwer? Van der Bellen: Es ist manchen Leuten, auch Journalisten, zu wenig klar, dass der Bundespräsident mit absoluter Mehrheit des Volkes gewählt werden muss, sonst wäre er kein Bundespräsident. Wenn er oder sie gewählt wird, wird man die Positionen in wichtigen Fragen kennenlernen. Eine wichtige Frage ist der Zusammenhalt der Europäischen Union. Ich mache mir große Sorgen darüber, dass die Europäische Union in der größten Krise seit ihrer Geburt steckt, dass die Sprengkräfte zunehmen, dass die Zentrifugalkräfte stärker werden. Ich würde es für den größtmöglichen politischen Fehler halten, dieses Auseinanderdriften der EU auch noch zu befördern.
STANDARD: Und das ist ein Grund, Strache als Kanzler zu verhindern? Van der Bellen: Die FPÖ, so wie sie sich derzeit darstellt, fährt auf der Linie, die Union sei schädlich und überflüssig, also zurück zu den Zwergstaaten. In dieser Situation wird sich jeder Bundespräsident, der an die Notwendigkeit einer europäischen Einheit glaubt, sehr schwertun, einen Kanzler anzugeloben, der genau das Gegenteil vertritt. Das möchte ich auch Herrn Khol in Erinnerung rufen.
STANDARD: Ist es nicht undemokratisch, den Kandidaten einer Partei, die stärkste Kraft ist, nicht anzugeloben? Das stünde doch dem Wählerwillen entgegen. Van der Bellen: Auch der Bundespräsident ist demokratisch gewählt, mit einer absoluten Mehrheit des Volkes. Wir hätten dann eine schwierige Situation, das leugne ich nicht, das müsste man verfassungspolitisch nach allen Richtungen ausloten. Aber eine Automatik, dass der Chef der relativ stärksten Partei den Kanzler stellt, die sehe ich nicht.
STANDARD: Derzeit wird intensiv über Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen diskutiert. Was ist Ihre Position? Ist diese Diskussion legitim? Voriges Jahr gab es 90.000 Asylwerber, heuer sollen es noch einmal mehr als 100.000 werden. Was ist Ihre Meinung zu Obergrenzen? Van der Bellen: Die Diskussion als solche ist legitim. Aber ich möchte schon in Erinnerung rufen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention Gesetzesrang hat und die Europäische Menschenrechtskonvention Verfassungsrang. Asyl ist ein Recht. Es ist juristisch daher überhaupt nicht klar, was diese Diskussion über Obergrenzen bedeuten soll. Andererseits sind wir uns natürlich alle bewusst, dass es bei der Unterbringung Grenzen geben kann. Nur weiß niemand, wo diese sind. Solange sich die Situation im Nahen Osten, vor allem der Krieg in Syrien, nicht ändert, wird dieser Druck bleiben. Also ist es sinnvoll, mit der Türkei zu reden, wie das die EU derzeit macht. Aber solange die Kriegssituation nicht beendet ist, werden Menschen fliehen. Menschen werden versuchen, aus den Lagern im Libanon und in Jordanien herauszukommen. Wenn die dort schon drei, vier Jahre stecken: Was ist mit den Kindern? Die können nicht in die Schule gehen, erhalten keine Ausbildung. Bei allem Respekt vor den Sorgen der Menschen, wir werden in der Union nach Wegen suchen müssen, das Schlimmste zu verhindern, dass diese Menschen sterben, verhungern, im Meer ertrinken.
STANDARD: Es ist aber nicht gesagt, dass Österreich diese Flüchtlinge aufnehmen muss. Van der Bellen: Das ist wahr. Es ist extrem unbefriedigend, dass Schweden, Österreich und Deutschland die Hauptverantwortung für die Aufnahme tragen sollen. Das gilt insbesondere für die Haltung von Polen oder Ungarn, die selbst die Erfahrung hatten, dass Menschen aus ihren Ländern geflüchtet sind und Aufnahme gefunden haben. Diese Länder verhalten sich nicht konstruktiv.
STANDARD: Heftige Kritik an Ihrer Kandidatur kommt ausgerechnet aus den eigenen Reihen. Die Jungen Grünen kritisieren die undemokratische Vorgangsweise, Ihr „professorales Image“und die „neoliberalen wirtschaftspolitischen Standpunkte“. Es kommt offenbar auch in der eigenen Partei schlecht an, dass Sie für Studiengebühren eingetreten sind und für die grüne Zustimmung zur Bankenrettung und zum Eurorettungsfonds ESM verantwortlich waren. Van der Bellen: Es wären nicht die Jungen Grünen, wenn sie nicht überall, wo es geht, Widerstand leisten würden. Das habe ich ja schon selber zur Genüge erlebt. Wo denn meine Positionen neoliberal sein sollen, das würde ich gerne näher mit ihnen diskutieren. Ich finde, die Vorgangsweise meiner Kandidatur war richtig. Es macht schon einen symbolischen Unterschied, wenn man erklärt, jawohl, ich stelle mich als Kandidat zur Verfügung, und ich freue mich über jede Unterstützung, ob sie jetzt aus der Zivilgesellschaft oder aus meiner Partei, den Grü- nen, kommt, oder ob man sich von einem Parteigremium als Parteikandidat nominieren lässt. Das ist ein feiner, aber für mich wichtiger Unterschied, dass ich als Person kandidiere. Ich freue mich über die Unterstützung der Grünen, die wird auch notwendig sein.
STANDARD: Es heißt, Sie sind ein „pseudounabhängiger“Kandidat. Ihre Kampagne wird von den Grünen finanziert, Ihre Mitarbeiter sind Mitarbeiter der Grünen. Van der Bellen: Zu einem Teil. Lothar Lockl, der Leiter meiner Wahlbewegung, ist selbstständiger Unternehmer. Und es gilt für alle, dass sie eine Organisation im Hintergrund brauchen, die einen Wahlkampf organisiert. Da mache ich mir nichts vor, da mache ich auch Ihnen nichts vor.
STANDARD: Selbst bei den Grünen heißt es, Sie wären der perfekte Kandidat, wenn Sie eine Frau wären. Gibt es auch weibliche Seiten an Ihnen, die Sie im Wahlkampf einbringen können? Van der Bellen: Ich weiß nicht, wie ich mit dieser Frage umgehen soll. Eine Kollegin von Ihnen hat gesagt, der Text meines Videos habe eine weibliche Seite.
STANDARD: ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hat Andreas Khol bei der Präsentation mit Mick Jagger verglichen. Welcher Vergleich würde Ihnen schmeicheln? Bob Dylan oder vielleicht doch Joan Baez? Van der Bellen: Musikalisch gesehen habe ich die Rolling Stones den beiden, die Sie genannt haben, immer vorgezogen.
Ich würde es für den
größtmöglichen politischen Fehler
halten, dieses Auseinanderdriften der Union auch noch
zu befördern.
STANDARD: Also müssen Sie sich musikalisch doch mit Andreas Khol messen. Van der Bellen: Das ist ein Pech. Aber einer meiner Lieblingsmusiker ist Ornette Coleman.
STANDARD: Ein Free Jazzer, Saxofonist. Der ist eher anspruchsvoll. Van der Bellen: Das schon, man muss sich gewöhnen.
STANDARD: Sollten Sie es in die Hofburg schaffen, müssen dort mehr Aschenbecher aufgestellt werden? Rauchen geht noch gut? Van der Bellen: Man kann sein Leben schon umstellen, aber nicht total. Also ich werde mich mäßigen. Aber ich habe eine Hypothese über die Laster, die man hat: Wenn man das eine Laster aufgibt, welches andere nimmt man dann?
ALEXANDER VAN DER BELLEN wird am 18. Jänner 72 Jahre alt. Der Wirtschaftsprofessor war von 1997 bis 2008 Bundessprecher der Grünen. Van der Bellen hat aus erster Ehe zwei Söhne, in zweiter Ehe, die erst jüngst geschlossen wurde, ist er mit der Geschäftsführerin im grünen Klub, Doris Schmidauer, verheiratet.