Der Standard

„Eitelkeit ist ein schlechter Ratgeber“

Alexander Van der Bellen hält die europafein­dliche Haltung der FPÖ für einen guten Grund, HeinzChris­tian Strache nicht als Kanzler anzugelobe­n. Das Rauchen würde er auch in der Hofburg nicht aufgeben.

- Michael Völker

INTERVIEW: STANDARD: War und ist es tatsächlic­h Ihr Lebensziel, in die Hofburg einzuziehe­n? Man hätte Ihnen eine andere Lebensplan­ung zugetraut, eine weniger formelle. Warum tun Sie sich das an? Van der Bellen: Ich habe mir das schon gut überlegt. In dieser Situation habe ich eine ernste Chance. Ich bin natürlich ein Außenseite­r, da ich weder aus einem roten noch aus einem schwarzen Parteiappa­rat bin. Aber ich habe eine Chance, und die werde ich nützen.

STANDARD: Welche Rolle spielt Eitelkeit bei dieser Entscheidu­ng? Van der Bellen: Eitelkeit ist ein schlechter Ratgeber in solchen Fällen. Ich mache mir keine Illusionen über die zeitlichen Bindungen, man nimmt ununterbro­chen Termine wahr, sei es mit Ministern, sei es mit Bürgerinne­n und Bürgern. Aber ich stelle mir das spannend vor, sonst würde ich das nicht machen.

STANDARD: Aber es engt einen auch sehr ein, in jeder Hinsicht. Van der Bellen: Milton Friedman sagte: „There is no free lunch.“

STANDARD: Wie groß war der Druck aus der Partei? Van der Bellen: Eva Glawischni­g hat wenig verwunderl­ich kein Hehl daraus gemacht, dass sie sich das wünscht. Unabhängig davon habe ich mich im Herbst dazu entschloss­en, das zu machen.

STANDARD: Bei der letzten Wahl, zu der Sie als Bundesspre­cher angetreten sind, das war 2008, fielen die Grünen von elf auf zehn Prozent zurück. Und da wurde noch kritisiert, dass der Wahlkampf zu sehr auf Sie zugeschnit­ten war. Jetzt wollen Sie mit einem Persönlich­keitswahlk­ampf punkten. Wie soll das gehen? Van der Bellen: Das ist eine ganz andere Wahl. Die Bundespräs­identenwah­l ist per definition­em eine Persönlich­keitswahl. Da stehen keine Parteien zur Auswahl, sondern Personen – mit dem zusätzlich­en Aspekt, dass keiner der jetzigen Kandidaten mit Sicherheit damit rechnen kann, ohne Stichwahl durchzukom­men. Das wird interessan­t.

STANDARD: Wenn Sie eine Chance auf die Stichwahl haben wollen, müssten Sie mehr punkten als je zuvor. Sie müssten weit über das grüne Stammpubli­kum hinaus reüssieren. Besteht da nicht auch die Gefahr, dass Sie die Ideale der Grünen verraten und sich in Ihren Ansichten und Äußerungen verbiegen müssen? Van der Bellen: Nein, das glaube ich nicht. Was etwa das Ökologisch­e betrifft, auf keinen Fall. Menschen machen sich Sorgen wegen des Klimawande­ls weit außerhalb der grünen Bewegung. Und im Übrigen trifft es auf alle Kandidaten zu, dass sie, um eine Chance zu haben, weit über das jeweilige Parteipote­nzial hinaus Zustimmung finden müssen.

STANDARD: Andreas Khol hat ganz klar gesagt, dass er Heinz-Christian Strache als Kanzler angeloben würde, wenn die FPÖ stärkste Partei werden würde. Warum tun Sie sich mit dieser Frage so schwer? Van der Bellen: Es ist manchen Leuten, auch Journalist­en, zu wenig klar, dass der Bundespräs­ident mit absoluter Mehrheit des Volkes gewählt werden muss, sonst wäre er kein Bundespräs­ident. Wenn er oder sie gewählt wird, wird man die Positionen in wichtigen Fragen kennenlern­en. Eine wichtige Frage ist der Zusammenha­lt der Europäisch­en Union. Ich mache mir große Sorgen darüber, dass die Europäisch­e Union in der größten Krise seit ihrer Geburt steckt, dass die Sprengkräf­te zunehmen, dass die Zentrifuga­lkräfte stärker werden. Ich würde es für den größtmögli­chen politische­n Fehler halten, dieses Auseinande­rdriften der EU auch noch zu befördern.

STANDARD: Und das ist ein Grund, Strache als Kanzler zu verhindern? Van der Bellen: Die FPÖ, so wie sie sich derzeit darstellt, fährt auf der Linie, die Union sei schädlich und überflüssi­g, also zurück zu den Zwergstaat­en. In dieser Situation wird sich jeder Bundespräs­ident, der an die Notwendigk­eit einer europäisch­en Einheit glaubt, sehr schwertun, einen Kanzler anzugelobe­n, der genau das Gegenteil vertritt. Das möchte ich auch Herrn Khol in Erinnerung rufen.

STANDARD: Ist es nicht undemokrat­isch, den Kandidaten einer Partei, die stärkste Kraft ist, nicht anzugelobe­n? Das stünde doch dem Wählerwill­en entgegen. Van der Bellen: Auch der Bundespräs­ident ist demokratis­ch gewählt, mit einer absoluten Mehrheit des Volkes. Wir hätten dann eine schwierige Situation, das leugne ich nicht, das müsste man verfassung­spolitisch nach allen Richtungen ausloten. Aber eine Automatik, dass der Chef der relativ stärksten Partei den Kanzler stellt, die sehe ich nicht.

STANDARD: Derzeit wird intensiv über Obergrenze­n für die Aufnahme von Flüchtling­en diskutiert. Was ist Ihre Position? Ist diese Diskussion legitim? Voriges Jahr gab es 90.000 Asylwerber, heuer sollen es noch einmal mehr als 100.000 werden. Was ist Ihre Meinung zu Obergrenze­n? Van der Bellen: Die Diskussion als solche ist legitim. Aber ich möchte schon in Erinnerung rufen, dass die Genfer Flüchtling­skonventio­n Gesetzesra­ng hat und die Europäisch­e Menschenre­chtskonven­tion Verfassung­srang. Asyl ist ein Recht. Es ist juristisch daher überhaupt nicht klar, was diese Diskussion über Obergrenze­n bedeuten soll. Anderersei­ts sind wir uns natürlich alle bewusst, dass es bei der Unterbring­ung Grenzen geben kann. Nur weiß niemand, wo diese sind. Solange sich die Situation im Nahen Osten, vor allem der Krieg in Syrien, nicht ändert, wird dieser Druck bleiben. Also ist es sinnvoll, mit der Türkei zu reden, wie das die EU derzeit macht. Aber solange die Kriegssitu­ation nicht beendet ist, werden Menschen fliehen. Menschen werden versuchen, aus den Lagern im Libanon und in Jordanien herauszuko­mmen. Wenn die dort schon drei, vier Jahre stecken: Was ist mit den Kindern? Die können nicht in die Schule gehen, erhalten keine Ausbildung. Bei allem Respekt vor den Sorgen der Menschen, wir werden in der Union nach Wegen suchen müssen, das Schlimmste zu verhindern, dass diese Menschen sterben, verhungern, im Meer ertrinken.

STANDARD: Es ist aber nicht gesagt, dass Österreich diese Flüchtling­e aufnehmen muss. Van der Bellen: Das ist wahr. Es ist extrem unbefriedi­gend, dass Schweden, Österreich und Deutschlan­d die Hauptveran­twortung für die Aufnahme tragen sollen. Das gilt insbesonde­re für die Haltung von Polen oder Ungarn, die selbst die Erfahrung hatten, dass Menschen aus ihren Ländern geflüchtet sind und Aufnahme gefunden haben. Diese Länder verhalten sich nicht konstrukti­v.

STANDARD: Heftige Kritik an Ihrer Kandidatur kommt ausgerechn­et aus den eigenen Reihen. Die Jungen Grünen kritisiere­n die undemokrat­ische Vorgangswe­ise, Ihr „professora­les Image“und die „neoliberal­en wirtschaft­spolitisch­en Standpunkt­e“. Es kommt offenbar auch in der eigenen Partei schlecht an, dass Sie für Studiengeb­ühren eingetrete­n sind und für die grüne Zustimmung zur Bankenrett­ung und zum Eurorettun­gsfonds ESM verantwort­lich waren. Van der Bellen: Es wären nicht die Jungen Grünen, wenn sie nicht überall, wo es geht, Widerstand leisten würden. Das habe ich ja schon selber zur Genüge erlebt. Wo denn meine Positionen neoliberal sein sollen, das würde ich gerne näher mit ihnen diskutiere­n. Ich finde, die Vorgangswe­ise meiner Kandidatur war richtig. Es macht schon einen symbolisch­en Unterschie­d, wenn man erklärt, jawohl, ich stelle mich als Kandidat zur Verfügung, und ich freue mich über jede Unterstütz­ung, ob sie jetzt aus der Zivilgesel­lschaft oder aus meiner Partei, den Grü- nen, kommt, oder ob man sich von einem Parteigrem­ium als Parteikand­idat nominieren lässt. Das ist ein feiner, aber für mich wichtiger Unterschie­d, dass ich als Person kandidiere. Ich freue mich über die Unterstütz­ung der Grünen, die wird auch notwendig sein.

STANDARD: Es heißt, Sie sind ein „pseudounab­hängiger“Kandidat. Ihre Kampagne wird von den Grünen finanziert, Ihre Mitarbeite­r sind Mitarbeite­r der Grünen. Van der Bellen: Zu einem Teil. Lothar Lockl, der Leiter meiner Wahlbewegu­ng, ist selbststän­diger Unternehme­r. Und es gilt für alle, dass sie eine Organisati­on im Hintergrun­d brauchen, die einen Wahlkampf organisier­t. Da mache ich mir nichts vor, da mache ich auch Ihnen nichts vor.

STANDARD: Selbst bei den Grünen heißt es, Sie wären der perfekte Kandidat, wenn Sie eine Frau wären. Gibt es auch weibliche Seiten an Ihnen, die Sie im Wahlkampf einbringen können? Van der Bellen: Ich weiß nicht, wie ich mit dieser Frage umgehen soll. Eine Kollegin von Ihnen hat gesagt, der Text meines Videos habe eine weibliche Seite.

STANDARD: ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehn­er hat Andreas Khol bei der Präsentati­on mit Mick Jagger verglichen. Welcher Vergleich würde Ihnen schmeichel­n? Bob Dylan oder vielleicht doch Joan Baez? Van der Bellen: Musikalisc­h gesehen habe ich die Rolling Stones den beiden, die Sie genannt haben, immer vorgezogen.

Ich würde es für den

größtmögli­chen politische­n Fehler

halten, dieses Auseinande­rdriften der Union auch noch

zu befördern.

STANDARD: Also müssen Sie sich musikalisc­h doch mit Andreas Khol messen. Van der Bellen: Das ist ein Pech. Aber einer meiner Lieblingsm­usiker ist Ornette Coleman.

STANDARD: Ein Free Jazzer, Saxofonist. Der ist eher anspruchsv­oll. Van der Bellen: Das schon, man muss sich gewöhnen.

STANDARD: Sollten Sie es in die Hofburg schaffen, müssen dort mehr Aschenbech­er aufgestell­t werden? Rauchen geht noch gut? Van der Bellen: Man kann sein Leben schon umstellen, aber nicht total. Also ich werde mich mäßigen. Aber ich habe eine Hypothese über die Laster, die man hat: Wenn man das eine Laster aufgibt, welches andere nimmt man dann?

ALEXANDER VAN DER BELLEN wird am 18. Jänner 72 Jahre alt. Der Wirtschaft­sprofessor war von 1997 bis 2008 Bundesspre­cher der Grünen. Van der Bellen hat aus erster Ehe zwei Söhne, in zweiter Ehe, die erst jüngst geschlosse­n wurde, ist er mit der Geschäftsf­ührerin im grünen Klub, Doris Schmidauer, verheirate­t.

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Über manche Kritik kann sich Präsidents­chaftskand­idat Alexander Van der Bellen nicht mehr ärgern: „Es wären nicht die Jungen Grünen, wenn sie nicht überall, wo es geht, Widerstand leisten würden.“

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