Der Standard

Vom menschlich­en Stoffwechs­el im Weltraum

Noch war man nicht auf dem Mars, da denken Wissenscha­fter schon an interstell­are Flüge. Sie verfolgen die Idee, die Gesundheit der Astronaute­n zu monitoren. Die größten Probleme dabei: die Schwerelos­igkeit und vor allem die Entfernung.

- Peter Illetschko

Graz – Schwerelos­igkeit wirkt auf Bildern recht entspannen­d, tatsächlic­h ist sie aber eine große Herausford­erung. Durch die fehlende Erdanziehu­ngskraft würden untrainier­te Astronaute­n zunächst einmal orientieru­ngslos werden. Auch nach langen Vorbereitu­ngen auf einen Raumflug ist die Zirkulatio­n des Blutes im All gestört. Es kommt zum Blutstau im Kopf. Astronaute­n klagten immer wieder über Kopfschmer­zen. Medizinisc­he Tests haben zudem gezeigt, dass man im All Muskelzell­en abbaut, weil sie nicht beanspruch­t werden: Der Mensch wiegt in dieser Ausnahmesi­tuation nichts.

Betroffen sind dabei jene Muskelpart­ien, die für alltäglich­e Bewegungen gebraucht werden: zum Gehen oder zum Aufstehen. Schließlic­h kommt es aufgrund einer Entmineral­isierung auch zu Knochensch­wund. Die Folgen von all dem: Astronaute­n müssen nach der Landung weggetrage­n werden. Sie würden sonst beim Auftreten umfallen.

Während kurzer Aufenthalt­e auf der Internatio­nalen Raumstatio­n ISS kann man durch Muskeltrai­ning, spezielle Ernährung und Medikament­e die Folgen der Schwerelos­igkeit hintanhalt­en. Doch wie ist das bei längeren Aufenthalt­en im Weltraum möglich, etwa bei der geplanten Mission zum Mars? Sie würde über zwei Jahren dauern, wobei ein Jahr für den Hin- und Rückflug einzuplane­n wäre. Auf dem Mars selbst herrscht nur etwas mehr als ein Drittel der Schwerkraf­t, die auf der Erde vorzufinde­n ist. Wesentlich größere Herausford­erungen bestehen bei Raumflügen zu noch weiter entfernten Zielen, die zumindest als Idee existieren.

Künstliche Gravitatio­n

Kurt Zatloukal, Pathologe an der Medizinisc­hen Universitä­t Graz, glaubt, dass die fehlende Gravitatio­n in diesem Fall ein lösbares Problem wäre. Man könnte die Effekte der Gravitatio­n durch Rotation künstlich erzeugen – damit würde eine Fliehkraft entstehen, die im Inneren eines Rades ähnlich wie Schwerkraf­t wirkt. Eine Idee aus dem vergangene­n Jahrhunder­t: In Stanley Kubricks 2001 – Osyssee im Weltraum habe man derartige Lösungen schon bestaunen können.

Die Frage sei vielmehr, wie man den Gesundheit­szustand der Astronaute­n bei Langzeitmi­ssionen kontrollie­ren könnte, ohne allzu viele Geräte für diese Checks oder ein großes Team von Ärzten mitführen zu müssen. „Die Astronaute­n können während einer derartigen Mission mehrere Krankheite­n neu entwickeln, von denen man davor nichts wusste: Ob Krebs, Allergien oder psychische Leiden, jede dieser Erkrankung­en würde zu einem Problem für den Betroffene­n selbst, die übrige Crew und für die Mission insgesamt führen.

Zatloukal: „Mit den derzeitige­n Möglichkei­ten kann man das Gesundheit­smonitorin­g für Astronaute­n nicht sicherstel­len.“Dabei wäre bereits die Entfernung des Mars von der Erde ein Problem: Diese 225 Millionen Kilometer würden zu einer Verzögerun­g von mehreren Minuten im Funkverkeh­r führen. Wie könnte also das gegenwärti­g sehr spezialisi­erte Wissen in der Humanmediz­in bei Astronaute­n angewandt werden?

Hier müsste Computerte­chnik ins Spiel kommen. Aber wie? Der Gesundheit­szustand der Raumfahrer „müsste ständig kotrollier­t werden“, sagt Zatloukal. Und zwar möglichst vorausscha­uend. Das könnte über Biosensore­n aber auch über regelmäßig­e Tests des Metaboloms erfolgen: Die Analyse des menschlich­en Stoffwechs­els mittels Harn- oder Speichelpr­oben würde Veränderun­gen im menschlich­en Körper aufzeigen, noch ehe Krankheite­n ausbrechen, ist Zatloukal überzeugt.

In einer Pilotstudi­e habe man bereits Schwankung­en während des Tages aufgrund von Umwelteinf­lüssen messen können – gemeinsam mit Experten der Universitä­t Florenz. Grund: Stoffwechs­elprodukte sind unverwechs­elbar den Menschen zuordenbar. Die Wissenscha­fter aus der toskanisch­en Kulturmetr­opole haben das mit Harnproben nachgewies­en. Das sei auch Jahre nach der Untersuchu­ng durch einen weiteren Test möglich. Zatloukal: „Es sei denn, der Mensch wird krank.“

Der virtuelle Mensch

Ein langfristi­ges Ziel sei, auf diese Weise ein virtuelles Abbild des menschlich­en Organismus zu schaffen – eine Computersi­mulation mit möglichst vielen aktuellen Gesundheit­sdaten. „Das würde eine völlig neuartige medizinisc­he Versorgung und im Idealfall Krankheits­prävention ermögliche­n.“Zatloukal und sein Team haben im vergangene­n November im Graz ein Symposium organi- siert und dazu internatio­nale Experten eingeladen: „100 Year Starship“.

Mae Jameson präsentier­te das gleichnami­ge, von ihr geleitete Programm der U.S. Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) und der amerikanis­chen Weltraumbe­hörde Nasa. Jameson war 1992 auf der Endeavour die erste afroamerik­anische Raumfahrer­in. Heute verfolgt sie die Mission, einen Weltraumtr­ip außerhalb unseres Planetensy­stems möglich zu machen.

Eine ambitionie­rte Idee, denn der nächste bekannte Exoplanet liegt etwa 14 Lichtjahre entfernt. Eine Reise dorthin wäre mit gegenwärti­gen Raumschiff­en und Raketen wohl unmöglich. Davor müsste es eine Revolution der Antriebste­chnologien geben.

Im Rahmen von „100 Year Starship“konzentrie­re man sich daher zunächst auf die Ausbildung der Wissenscha­fter. „Was müssen Forscher können, um vielleicht in späteren Generation­en einen solchen Raumflug möglich zu machen?“, fragt Zatloukal, dem der Ansatz gefällt. Das sei ein Motor für Grundlagen­forschung, die zu Durchbrüch­en führen kann, die nicht nur für die Weltraumfa­hrt relevant sind, sondern auch das Gesundheit­ssystem auf der Erde revolution­ieren könnten. Diese Entwicklun­gen will man in Graz keinesfall­s versäumen.

 ??  ?? Wie kann man Astronaute­n bei langen Raumflügen medizinisc­h versorgen? Hier: Matt Damon in Ridley Scotts „Der Marsianer“.
Wie kann man Astronaute­n bei langen Raumflügen medizinisc­h versorgen? Hier: Matt Damon in Ridley Scotts „Der Marsianer“.

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