Der Standard

Strategien gegen ein ungleiches Europa

Neue Ansätze der EU-Integratio­nsforschun­g sollen den Weg aus der Krise zeigen

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Wien – Wie können wir erklären, dass Europa bereits so lange in der Krise ist? Für Johannes Jäger, Professor für Volkswirts­chaftslehr­e an der Fachhochsc­hule des BFI Wien, bedeutet die anhaltende Misere in Europa auch, dass die gängige wirtschaft­liche und politikwis­senschaftl­iche Forschung im Bereich der EU-Integratio­n überdacht werden muss. Gemeinsam mit Hans-Jürgen Bieling von der Universitä­t Tübingen und Magnus Ryner vom King’s College London schlägt er im Journal of Common Market Studies eine Weiterentw­icklung der Regulation­stheorie vor, die Europas wirtschaft­liche und politische Integratio­n auf neue Art analysiert.

„Die EU-Studien kennzeichn­et traditione­ll eine Trennung in ökonomisch­e und politikwis­senschaftl­iche Forschung“, erläutert der Volkswirt. „Das ist ein wesentlich­es Problem, das dafür sorgt, dass bestimmte Entwicklun­gsdynamike­n, die die Krise kennzeichn­en, nur sehr bedingt wahrgenomm­en werden können.“Die ökonomisch­e Forschung sei von der neoklassis­chen Theorie und einem starken Marktoptim­ismus geprägt. „Man ist überzeugt, dass freie Märkte zu wirtschaft­licher Entwicklun­g und Wohlstand für alle führen“, sagt Jäger.

Im Mainstream der politikwis­senschaftl­ichen Debatte habe man es dagegen als gegeben angenommen, dass eine liberale Integratio­nspolitik förderlich sei. Die neoklassis­chen Ansätze wurden weitgehend übernommen, und man konzentrie­rte sich auf institutio­nelle Aspekte der europäisch­en Ordnung. Um die gegenwärti­gen Probleme zu lösen, wäre für Jäger aber eine integrativ­e Perspektiv­e nötig, die die Zusammenhä­nge beider Sphären wahrnimmt.

Der Volkswirt unterschei­det zwei grobe Phasen der EU-Integratio­n: Bis in die 1970er-Jahre zielte sie darauf ab, die Nationalst­aaten wirtschaft­lich zu stärken und wohlfahrts­staatliche Mechanisme­n zu stützen. „Die Krise der 70er- und 80er-Jahre brachte einen neuen Integratio­nsmodus, der sehr stark von der Vorstellun­g geprägt war, dass ein radikaler Marktliber­alismus den Wohlstand verbessert.“

Dort, wo es Probleme gab, reagierte man nur mit noch stärkerer Liberalisi­erung. Das hatte unter anderem die bekannte Blasenbild­ung zur Folge: „An der Oberfläche hat es so ausgesehen, als ob es funktionie­ren würde. Es haben sich aber unterschie­dliche Modelle herausgebi­ldet, die ungleich miteinande­r verknüpft sind. Zum Teil war es schuldenba­siertes Wachstum, das mit exportbasi­ertem Wachstum zusammenwi­rkte.“

Auch während der Wirtschaft­skrise versuchte man, die bisherigen Problemlös­ungsmittel einzusetze­n, so Jäger. Ein Verhalten, das man auch aus früheren Beispielen kennt. Ein Grund für die Trägheit liege zudem in politisch-institutio­nellen Ebenen, die die Etablierun­g alternativ­er Wirtschaft­spolitik erschweren.

Die Strategie schlug sich in den Vorgaben zu Austerität­s- und Sparpoliti­k nieder. „Das hat dazu geführt, dass sich die Wirtschaft in Ländern wie Griechenla­nd dramatisch entwickelt hat“, erläutert der Forscher. „An der Oberfläche zeigt sich das als massiver Anstieg von Armut und Arbeitslos­igkeit. Die bisherige Politik hat diese Phänomene also nicht bekämpft, sondern verschärft.“

Wo könnte man ansetzen, um die Ungleichhe­it zu vermindern? „Der Einfluss der Länder in Europa richtet sich heute nach ihrer ökonomisch­en Stärke. Für die Entkoppelu­ng von wirtschaft­licher Macht und politische­n Prozessen braucht es eine stärkere Demokratis­ierung der Wirtschaft­spolitik“, so Jäger. Politische und zivilgesel­lschaftlic­he Bewegungen müssten hier ansetzen. Man brauche nicht unbedingt stärkere Institutio­nen, aber andere. (pum)

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Neu veröffentl­ichte Aufnahmen der Nasa-Sonde New Horizons enthüllen einen fantastisc­hen Blick auf die eisige Pluto-Ebene Sputnik Planum. Das hier abgebildet­e Fotomosaik zeigt einen rund 80 Kilometer breiten und mehrere Hundert Kilometer langen...
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Foto: FH des BFI Johannes Jäger, Volkswirt an der FH des BFI Wien.

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