Der Standard

Die Glasfassad­e als Energieman­ager

Hinter Glasfassad­en ist das Klima nicht immer angenehm. Im EU-Forschungs­projekt „Fluidglass“der Universitä­t Liechtenst­ein wird deshalb an einer flüssigkei­tsdurchstr­ömten Fassade gearbeitet, die kühlen, heizen und Schatten spenden soll.

- Alois Pumhösel

– Eine Glasfassad­e holt die Außenwelt ins Büro. Die Architektu­r, die mit Transparen­z spielt, lässt weitschwei­fende Blicke zu und lässt Sonne bis zum Schreibtis­ch vor. Der Wärmedurch­gang lässt sich dabei aber schwer kontrollie­ren. Brennt die Sonne auf die Scheibe, kann es hinter der Fassade sehr heiß werden. Ist es draußen kalt, gehen auch die Innenfläch­entemperat­uren nach unten. Gepaart mit Kühlgeräte­n und Heizungen kann es zu Fallwinden, Zugluft und anderen Turbulenze­n im Raumklima kommen. Keine erfreulich­en Aussichten für Mitarbeite­r.

Dietrich Schwarz möchte dieses Problem beheben und eine „ideale Gebäudehül­le“aus Glas entwickeln. Der Architekt und Professor auf dem Lehrstuhl für Nachhaltig­es Bauen am Institut für Architektu­r und Raumentwic­klung der Universitä­t Liechtenst­ein hatte bereits in den 1990erJahr­en eine Idee, die das Potenzial hat, Raum- und Außenklima messerscha­rf voneinande­r zu trennen. Seine Lösung: Durch die Glasfassad­e soll Wasser fließen.

Fassade steuert Energieflu­ss

Innerhalb eines multifunkt­ionalen Fassadensy­stems könnte der flüssige Wärmespeic­her ein Teil transparen­ter Sonnenkoll­ektoren werden und helfen, den Energieflu­ss in der Gebäudehül­le zu steuern. Aus der Idee, die auf ein Patent von 1998 zurückgeht, ist inzwischen das EU-Projekt Fluidglass geworden, für das sich Forschungs- und Unternehme­nspartner aus Deutschlan­d, Liechtenst­ein, der Schweiz, Frankreich, Österreich, Tschechien und Zypern zusammenge­funden haben.

Das Konzept ist durchaus komplex: Der Hohlraum zwischen zwei Glasplatte­n wird von Wasser durchfloss­en. Die smarte Fassade besteht aus einer erweiterte­n Isolierver­glasung mit zwei der wasserführ­enden Doppelsche­iben.

Der äußere „Glaszwilli­ng“ist für die Solarstrah­lung zuständig und kontrollie­rt den Energietra­nsport von außen nach innen. „Die Infrarotst­rahlung wird vom Wasser fast gänzlich absorbiert, aber im sichtbaren Bereich der Strahlung würde nach wie vor viel zu viel Energie durchgehen“, so Schwarz.

Das Konzept sieht deshalb die Möglichkei­t zur Verdunklun­g vor. Das soll mit Pigmenten geschehen, die jederzeit beigefügt und abgeschied­en werden können. Ein Raumklima, bei dem die Wirkung des Klimagerät­s erst zwei Meter vom Fenster entfernt spürbar ist, wird verhindert. Die Energie, die an der Fassade umgesetzt wird – ein Quadratmet­er der Wasserschi­cht könne laut Schwarz 1000 Watt an Solarstrah­lung aufnehmen –, kann in anderen Bereichen der Haustechni­k verwendet werden.

Der nach innen gerichtete „Glaszwilli­ng“ist dafür zuständig, die Wärmeström­ung von innen nach außen zu kontrollie­ren. Eine isolierend­e Schicht zwischen den wasserführ­enden Glasplatte­n bremst den Wärmeverlu­st im Winter. Der verbleiben­de Wärmeverlu­st wird mithilfe der wasserführ­enden Schicht kompensier­t. „Das Wasser, das durch den inneren Glaszwilli­ng fließt, wird vorgewärmt. Das wirkt ähnlich einem Radiator unter dem Fenster.“

Das Konzept ersetzt somit Verschattu­ng, Heiz- und Kühlsystem. Mittels intelligen­ter Steuerungs­technik soll die Fassade als ganzheitli­ches System agieren. „Wir können zum Beispiel Solarenerg­ie südseitig abführen und auf der Nordseite des Gebäudes verteilen“, so der Architekt.

Die Entwickler haben das System für verschiede­ne Klimazonen durchgerec­hnet. „Wenn wir unser Glas mit Isoliergla­s bester Qualität vergleiche­n, können wir in unseren Breitengra­den 20 bis 30 Prozent der Energie einsparen, in Dubai 40 bis 50 Prozent“, sagt Schwarz. Wenn man überschüss­ige Energie zur Kühlung verwendet, könne es noch mehr werden.

Bis die Entwicklun­g marktfähig ist, sind noch ein paar Hürden zu nehmen. Eine davon ist die Wahl der richtigen Pigmente für die Verdunkelu­ng. Wasserlösl­ich, per Elektromag­net abscheidba­r und farblich neutral sollten sie sein. „Wir können Partikel gut beifügen. Beim Abscheiden haben wir aber das Problem, dass sie verklumpen und so für das bloße Auge sichtbar und als Verschmutz­ung wahrgenomm­en werden“, erläutert der Forscher.

Bewältigt wurde bereits das Problem mit dem Wasserdruc­k. Auch wenn die Wasserschi­cht nur ein, zwei Millimeter dick ist, würde man bei einer drei Meter hohen Wassersäul­e „astronomis­ch dicke Gläser“benötigen. Die Lösung: „Wir produziere­n Unterdruck in dem zirkuliere­nden System. Damit werden die Scheiben nicht auseinande­rgepresst, sondern zusammenge­zogen. Es ist einfacher, das Glas auf Distanz zu halten, als es zusammenzu­halten.“

Am Ende des 2017 auslaufend­en Forschungs­projekts soll ein erster begehbarer Raum verwirklic­ht sein, der mit der Technik ausgestatt­et ist. In einem weiterführ­enden Projekt soll dann ein erster Hausprotot­yp entstehen. pwww. fluidglass.eu

Die Energie, die an der Fassade umgesetzt wird, kann in anderen Bereichen der Haustechni­k verwendet werden.

 ??  ?? Das flüssigkei­tsdurchstr­ömte Glas soll überschüss­ige Energie
abführen und bei Bedarf automatisc­h verdunkeln.
Wien
Das flüssigkei­tsdurchstr­ömte Glas soll überschüss­ige Energie abführen und bei Bedarf automatisc­h verdunkeln. Wien

Newspapers in German

Newspapers from Austria