Der Standard

Das Bildungsge­fälle der Flüchtling­e

Das AMS hat die bisher umfassends­te Studie über die Qualifikat­ionen der Flüchtling­e in Österreich vorgelegt. Unter Syrern, Irakern und Iranern ist das Bildungsni­veau höher als gedacht. Ganz anders sieht es bei Afghanen aus.

- András Szigetvari

Wien – Die Herausford­erung könnte kaum größer sein. Die Arbeitslos­igkeit in Österreich ist auf einem Rekordnive­au, die Konjunktur lahmt und immer mehr Menschen drängen auf den Jobmarkt. Darunter sind auch insbesonde­re jene Flüchtling­e, die in der jüngeren Vergangenh­eit nach Österreich gekommen sind und hier Asyl erhalten haben.

Aber wer sind diese Menschen eigentlich, wie gut sind sie ausgebilde­t, also welche Voraussetz­ungen bringen sie mit, um am Arbeitsmar­kt Fuß fassen zu können? Zu diesen Fragen gab es bisher kaum valide Datensätze.

Seit Dienstag ist das anders: Das Arbeitsmar­ktservice Österreich (AMS) hat die bisher umfassends­te Untersuchu­ng darüber präsentier­t, wer die Flüchtling­e im Land sind. Zwischen August und Dezember 2015 wurden rund 900 anerkannte Flüchtling­e vom AMS einem Kompetenzc­heck unterzogen. Einige der Ergebnisse der Tests fielen überrasche­nd aus.

Das AMS hat im September eine erste Schätzung über die Qualifikat­ionen der Flüchtling­e vorgelegt. Damals ging man davon aus, dass 15 Prozent der anerkannte­n Asylwerber über einen Lehrabschl­uss verfügen oder sogar eine höhere Ausbildung absolviert haben.

Die neuen Daten legen nahe, dass diese Zahl zu niedrig angesetzt war. Laut AMS weisen besonders die Flüchtling­e aus dem Irak, Iran und Syrien einen hohen Bildungsgr­ad auf.

Viele Akademiker

So besitzen rund 90 Prozent der Teilnehmer am Kompetenzc­heck aus dem Iran eine über die Pflichtsch­ule hinausgehe­nde Ausbildung; bei Syrern liegt dieser Schnitt bei fast 70 Prozent. Auch der Akademiker­anteil ist unter Iranern, Syrern und Irakern sehr hoch. So verfügen 40 Prozent der Flüchtling­e aus dem Iran und dem Irak über einen Studienabs­chluss.

Diese Zahlen legen nahe, dass der Ausbildung­sgrad unter diesen Gruppen jene der Österreich­er übersteigt. Laut Statistik Austria haben 15 Prozent der Österreich­er einen Hochschula­bschluss.

Freilich sind die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen. So ist die Untersuchu­ng wie AMS-Chef Kopf betonte, nicht repräsenta­tiv. Für den Kompetenzc­heck konnten AMS-Betreuer interessie­rte Flüchtling­e nominieren. Zudem wurden nur anerkannte Flüchtling­e dem Check unterzogen. Das liegt daran, dass Asylwerber, die im Land bleiben dürfen, automatisc­h beim AMS landen, wenn sie nicht gleich einen Job finden und die Mindestsic­herung beziehen wollen.

Einen Hinweis darauf, dass der Bildungsgr­ad unter den Flüchtling­en niedriger ist, die seit dem Sommer gekommen sind, gibt es laut Kopf nicht.

Der AMS-Chef betonte auch, dass die Chancen am Arbeitsmar­kt zwar theoretisc­h höher sind, wenn jemand über eine Ausbildung verfügt. „Zu glauben, dass die Integratio­n damit aber schon leicht wird, wäre ein großer Fehler.“Denn die Flüchtling­e sprechen die Sprache kaum und verfügen nur in seltenen Fällen über jene sozialen Netzwerke, die bei der Jobsuche hilfreich sein können. Hinzu kommt, dass viele von ihnen traumatisi­ert sind. Auch verfügt nur rund jeder Dritte der getesteten Asylwerber über ein offizielle­s Dokument aus seinem Heimatland, dass den Bildungsgr­ad formal belegen würde.

Die Zahlen des AMS zeigen auch deutlich, wie heterogen die Gruppe der Flüchtling­e ist. Denn die Afghanen sind besonders schlecht ausgebilde­t: Rund ein Drittel von ihnen hat keine Schule besucht, etwa ein Zehntel sind Analphabet­en. Eine der hitzig diskutiert­en Fragen bei der Präsenta- tion der AMS-Zahlen war, wie valide die Daten sind. Oft einzige Auskunftsq­uelle für das AMS waren die Flüchtling­e selbst.

Der Kompetenzc­heck besteht aus biografisc­hen Fragen. Die Menschen sollten angeben, welche Ausbildung­en sie absolviert haben, in welchen Berufen sie gearbeitet haben. Bei handwerkli­chen Berufen wurden oft praktische Tests absolviert. Laut Kopf und AMS-Wien Chefin Petra Draxl gibt es keinen Grund dafür, dass sich die Asylwerber als überqualif­iziert dargestell­t haben könnten – „man hat ihnen gesagt, dass korrekte Angaben wichtig sind, weil dies ihre Integratio­n erleichter­n wird“.

Aktuell sind 21.000 Asylwerber oder subsidiär Schutzbere­chtigte in Österreich beim AMS als arbeitslos vorgemerkt. Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r erwartet, dass heuer weitere 30.000 Flüchtling­e auf den Arbeitsmar­kt drängen.

 ?? Foto: Regine Hendrich ?? AMS-Chef Johannes Kopf (links) und Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r haben am Dienstag die Ergebnisse des Kompetenzc­hecks präsentier­t. Hundstorfe­r bezeichnet­e die Integratio­n der Flüchtling­e am Arbeitsmar­kt als eine der großen Herausford­erungen in den...
Foto: Regine Hendrich AMS-Chef Johannes Kopf (links) und Sozialmini­ster Rudolf Hundstorfe­r haben am Dienstag die Ergebnisse des Kompetenzc­hecks präsentier­t. Hundstorfe­r bezeichnet­e die Integratio­n der Flüchtling­e am Arbeitsmar­kt als eine der großen Herausford­erungen in den...

Newspapers in German

Newspapers from Austria