„Der Schockeffekt lässt sich nicht reproduzieren“
Die „Dreigroschenoper“zählt zu den erfolgreichsten Bühnenwerken des 20. Jahrhunderts. Anlässlich einer Neuinszenierung im Theater an der Wien ein Gespräch mit deren musikalischem Leiter Johannes Kalitzke.
INTERVIEW:
Standard: Sie sind als Dirigent und Komponist gegenwartsorientiert. Was war denn 1928 das unerhört Neue an der „Dreigroschenoper“? Kalitzke: Die Annäherung der Kunstmusik an die Halbwelt – etwas, das wir heute gar nicht mehr so empfinden, weil wir die damaligen Elemente der Unterhaltungsmusik nicht mehr als solche wahrnehmen und Kurt Weill weniger eine Anbiederung ans Ordinäre unterstellen als eine Kunst des Parodistischen. Dass das, was 1928 skandalös und neu war, heute anders gehört wird, dem muss man Rechnung tragen.
Standard: Im Widerspruch zum Titel ist das Stück ein Schauspiel mit Musik. Welche Konsequenzen hat das für die, die hier singen? Kalitzke: Man hat das Stück ja immer sehr verschieden besetzt: einmal mit Schauspielern, dann mit echten Opernsängern. Ich bin heil- froh, dass wir Tobias Moretti für den Mackie Messer haben, der auf sensationelle Weise innerhalb weniger Monate singen gelernt hat. Ansonsten hatten wir Sänger, die sich – von der anderen Seite – ans Sprechen annähern mussten. Bei jenen Stellen, wo Weill echte Opernparodien schreibt, darf man das Klischee des Operngesangs bedienen – ansonsten muss man das vermeiden. Für mich war es die Hauptarbeit, eine Stimmkultur zu schaffen, die einheitlich ist.
Standard: Ist es bei Weill nicht manchmal schwer zu unterscheiden, was er bei seiner Fusion der verschiedenen Stile ironisch meint und was nicht – etwa beim Choral? Kalitzke: Den Choral, der ja beinahe von Bach sein könnte, schätze ich deswegen sehr, weil er einen extremen Widerspruch zwischen Inhalt und Form darstellt. Was gesungen wird, ist das genaue Gegen- teil. Der Choral klingt so, wie er in der Kirche zu sein hat; dagegen steht aber ein Text, der auf eine unglaublich sarkastische Weise das Revolutionäre als Ganzes hinterfragt. Das wird übrigens in der Inszenierung sehr gut gezeigt, indem Keith Warner genau jene kommerzielle, kapitalistische Domäne auf die Bühne bringt, die im Text angeprangert wird. Das passt zum Choral, der ganz bewusst gegen den Text gesetzt ist und auch so gelesen werden muss. Das ist kein feierlicher, sondern ein vergifteter Abschluss.