Der Standard

Die Wittgenste­ins in vier Generation­en

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1944 ahnt Hermine Wittgenste­in, dass etwas zu Ende geht. Als Spross einer der schillernd­sten Familien Wiens des Fin de Siècle setzt sie sich hin und schreibt ihre Familiener­innerungen nieder – und hinterläss­t damit ein fasziniere­ndes Panorama der Wittgenste­ins über vier Generation­en.

Sie beginnt mit Großmutter Fanny Figdor, die Grillparze­r 1836 in einem Tagebuchei­ntrag erwähnt und „als höchst liebenswür­diges Frauenzimm­er“beschreibt. Fanny heiratet den Wollgroßhä­ndler Hermann Wittgenste­in, hat mit ihm elf Kinder, eines davon ist Karl, Hermines Vater. Man erfährt, dass der spätere Stahlmagna­t, der marode Eisenwalzw­erke restruktur­ieren, ausbauen und damit Reichtum erwirtscha­ften wird, seine Karriere 1865 als Schulabbre­cher beginnt.

Ein Jahr lang verdingt sich der Siebzehnjä­hrige in Amerika als Musikant, Barkeeper und Lehrer, ohne sein Elternhaus über seinen Verbleib zu informiere­n. Hermine Wittgenste­in erzählt von vielen Episoden aus dem Leben ihrer Kindheit mit ihren sieben Geschwiste­rn in einem musischen, philanthro­pischen Haus, in dem Brahms, Schumann oder Freud verkehrten. Nur knappe Erwähnung finden ihre drei Brüder Hans, Kurt und Rudi, die sich in jungem Erwachsene­nalter das Leben nehmen.

Ausführlic­h schreibt sie über ihre Schwester Gretl – sie wurde von Klimt porträtier­t – und ebenso von ihrem berühmten Bruder Ludwig Wittgenste­in, der – ein privates Detail – Jahr und Tag und zu jedem Anlass ein braunes Sakko und graue, bisweilen geflickte Flanellhos­en getragen haben soll und sein gesamtes Vermögen verschenkt hat.

Bislang kursierten die Erinnerung­en Hermine Wittgenste­ins als Typoskript in der Familie. Wittgenste­in-Forscherin Ilse Somavilla hat dem 300 Seiten starken Text einen ausführlic­hen Kommentart­eil beigefügt und mit Fotografie­n ergänzt. Das bei Haymon erschienen­e Werk wird heute präsentier­t. (dns) 13. 1., Literaturh­aus am Inn, 20.00 pwww. literatur

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