KOPF DES TAGES
Ein Wort mit Herz und schlechtem Ruf
Vielleicht ist es manchem Menschen, der sich nach wie vor erlaubt, über Flüchtlinge gut zu denken und zu sprechen, ein kleiner Trost: Das Wort „Gutmensch“ist in Deutschland zum Unwort des Jahres 2015 gewählt worden.
Auf den ersten Blick ein Paradoxon, denn wie kann etwas Positives ein Unding sein? Doch wer noch nicht weiß, dass der Ausdruck „Gutmensch“nicht gut gemeint ist, dem hilft die Begründung der Sprachjury in Darmstadt: Das Schlagwort diffamiere im Zusammenhang mit Flüchtlingshilfe „Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischen Imperialismus“.
Den „Gutmenschen“, der für Flüchtlinge Verständnis, freundliche Worte und praktische Hilfe hat und sie weder als ökonomische noch als gesellschaftliche Bedrohung sieht, gibt es nicht erst, seit die vielen Neuankömmlinge in Europa vor der Tür stehen. Auf der Suche nach den Ursprüngen trifft man auf den Philosophen Friedrich Nietzsche, der 1887 in der Genealogie der Moral schrieb: „Diese ,guten Menschen‘ – sie sind allesamt jetzt in Grund und Boden vermoralisiert und in Hinsicht auf Ehrlichkeit zuschanden gemacht …“
2006 warnte der Deutsche Journalistenverband vor der Verwendung des Begriffs und verwies darauf, dass er in der NS-Zeit verächtlich für Anhänger von Kardinal Graf Galen, der gegen Vernichtung „unwerten Lebens“kämpfte, gebraucht wurde. Auch Hitler lästerte in Mein Kampf über „diese oft seelenguten braven Menschen“, die „in ihrer politischen Betätigung dennoch in die Reihen der Todfeinde unseres Volkstums eintraten“.
Laut der Gesellschaft für deutsche Sprache wurde der Begriff „Gutmensch“ab 1994 durch das sprachkritische Wörterbuch des Gutmenschen von Klaus Bittermann weithin bekannt. Dieses warnt vor „Betroffenheitsjargon und Gesinnungskitsch“. „Gutmenschen“werden so beschrieben: „Häufiger als der Durchschnitt machen sie sich Sorgen um andere Menschen.“
Und zwar nicht nur um Flüchtlinge. Auch um Straftäter (Stichwort Resozialisierung) und überhaupt alle benachteiligten Randgruppen. Als Vorfahren des „Gutmenschen“kann man durchaus den „Weltverbesserer“nennen, der gegen Atomkraft, Kinderarbeit oder das Abschlachten von Walen kämpfte. Wohlwollend über ihn berichtet wird vor allem in der „Lügenpresse“. Das war übrigens das Unwort im Jahr davor. „Gutmensch“wurde zum deutschen Unwort 2015
gewählt.