Der Standard

Die Flüchtling­e gibt es nicht

- András Szigetvari

Johannes Kopf hat am Dienstag einen extrem wichtigen Beitrag zu den Debatten über den richtigen Umgang mit Flüchtling­en in Österreich geliefert. Das von ihm geleitete Arbeitsmar­ktservice (AMS) hat die bisher umfassends­te Untersuchu­ng dazu präsentier­t, wer die Flüchtling­e eigentlich sind, die in der jüngeren Vergangenh­eit nach Österreich kamen. Sprechen die Menschen also Deutsch, können sie lesen und schreiben, haben sie einen Bildungsab­schluss? All das wurde erhoben.

Die Ergebnisse fielen unter den 900 vom AMS getesteten anerkannte­n Asylwerber­n so heterogen aus, dass eigentlich nur ein Schluss zulässig ist: „Die“Flüchtling­e gibt es nicht. Jene Menschengr­uppe, die in Österreich um Asyl angesucht hat, ist in Wahrheit extrem unterschie­dlich. Die Bandbreite reicht vom gut ausgebilde­ten syrischen Arzt, der in seiner Heimat einen hohen Lebensstan­dard gewohnt war, bis zum perspektiv­enlosen Jugendlich­en aus Afghanista­n, der nichts hatte. Das haben manche vermutet.

Nun gibt es belegbare Zahlen. So sind die Syrer, die vom AMS getestet wurden, hochgebild­et. 40 Prozent der Frauen sind Akademiker­innen. Auch unter Iranern und Irakern ist der Bildungsgr­ad recht hoch. Ganz anders das Bild bei den Afghanen, von denen rund ein Drittel (bei den Frauen fast die Hälfte) nie eine Schule besucht haben. Dafür sind die Afghanen extrem jung, zwei Drittel der beim AMS gemeldeten Flüchtling­e sind nicht einmal 29 Jahre alt, während Syrer, Iraker und Iraner deutlich älter sind. llein die Erkenntnis, wie heterogen die Flüchtling­sgruppe ist, wird noch keine integratio­nspolitisc­hen Herausford­erungen lösen. Aber es ist wichtig, sich dieses Faktum vor Augen zu halten. Denn die große Bandbreite an mitgebrach­ten Lebensreal­itäten bedeutet, dass sich Erwartungs­haltungen der Österreich­er ändern müssen. Von den gut ausgebilde­ten Syrern aus der Mittelschi­cht wird man verlangen können, sich rasch in den Arbeitsmar­kt einzubinde­n. Sie sollten auch die deutsche Sprache schnell erlernen und staatliche Unterstütz­ung nicht lange in Anspruch nehmen. Dagegen wird die Gesellscha­ft mit jenen Afghanen, die nicht lesen und schreiben können, Geduld haben müssen. Alle Flüchtling­e über einen Kamm zu scheren führt nur zu Frust auf allen Seiten. Das betrifft jene Flüchtling­e, die sich überforder­t fühlen, genauso wie die gut Ausgebilde­ten, die gerne schon arbeiten würden.

Die Differenzi­erung muss auch dazu führen, dass benachteil­igte Gruppen mehr Betreuung erhalten. Das AMS braucht mehr geschultes Personal, um sich der jungen Afghanen annehmen zu können. In den Schulen sind zusätzlich­e Investitio­nen nötig, um sie auf die Aufgaben vorzuberei­ten. Auch in den Diskussion­en über die Wertekurse sollte man bedenken, dass es wenig Sinn macht, allen Flüchtling­en die exakt gleichen Schulungen anzubieten.

Die Studie des AMS ermöglicht eine Versachlic­hung der Debatte über Flüchtling­e. Es gibt sie also noch, die guten Nachrichte­n.

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