Russen reißen Loch in die Grüne Woche
Sinnkrise bei der Grünen Woche, der weltgrößten Landwirtschaftsmesse in Berlin. Das politisch motivierte Fernbleiben der Russen legt die Mängel des Treffs offen: Masse statt Klasse. Auch österreichische Aussteller sind unzufrieden.
Die Besuchermassen in den gut zwanzig Pavillons und Hallen der Grünen Woche können nicht darüber hinwegtäuschen: Die Landwirtschaftsschau ist in die Jahre gekommen. Zwar genießt es der Berliner noch immer, durchs weitläufige Messegelände zu wandern, sich da und dort ein Gläschen landesspezifischer Alkoholika zu genehmigen oder immer wieder einmal die dargebotenen Spezialitäten zu verkosten: Käse, Speck, Joghurt in winzigen Bechern oder Exotischeres wie Rentierwurst oder Kichererbsenkekse.
Aber Kritik formiert sich immer stärker. Bei den Gegnern einer industriellen Landwirtschaft sowieso. Lautstark demonstrieren sie unter dem Motto „Wir haben es satt“gegen Massentierhaltung, Schädigung der Umwelt durch großzügigen Einsatz von Pestiziden, gegen Gentechnik und überhaupt gegen die auf der Messe vorherrschende agrarische Ordnung, die ihr Heil in Hightech und Economies of Scale sieht.
Das System Grüne Messe krankt. Mit dem sanktionsbedingten Fernbleiben der Russen, die Jahr für Jahr eine der größten Hallen sehr professionell bespielt hatten, hat sich eine Lücke aufgetan. Inhaltlich, weil die Russen immer sehr eindrucksvoll gezeigt hatten, welche agrarische Vielfalt sich aus der Größe des Landes ergibt.
Fahrende Händler
In die Lücke, die sich durch das Fernbleiben der staatlichen russischen Stellen auftat, stießen heuer fahrende Händler von praktisch überall, sehr oft aus Russland und Umgebung. Denn: Die Politik ist uns egal, sagt ein Händler von russischen Zuckerln. Die Messeleitung hat die bunte Vielfalt, die an die alte Sowjetunion erinnert, frisch und frei „Festival der russischen Traditionen“genannt. Hier werden von stark geschminkten Russinnen Brötchen mit Kaviar (ein Euro) samt Wodka, ebenfalls für einen Euro, verkauft. Ähnliches Angebot, ähnliche Aufmachung gibt es einen Steinwurf weiter bei den Ukrainern. Auch beim Krimsekt nimmt man nicht so genau.
Dieser frische Mischmasch erfreut vielleicht die trinkfesten Berliner, die sich schon am Vormittag beginnen zuzudröhnen. In den quasi staatlichen/regionalen Pavillons, wo es Leistungsschauen gibt, mit denen Schulklassen über den Wert der Landwirtschaft informiert werden sollen, ist es vielleicht informativer, aber halt weniger lustig.
Über die richtige Ausrichtung des Messeauftritts dürfte man sich
es auch im Österreich-Pavillon nicht mehr ganz im Klaren sein. War es früher eine Ehre, vertreten zu sein, ist heute die Freude, im Rahmen der Österreicher einen Messestand zu ergattern, nicht besonders groß. Alle Bundesländer mit Ausnahme von Wien sind vertreten, meist mit Käse-, Wurst und Speckspezialitäten.
Ohne Zuschüsse vom Land würde man nicht mehr kommen, heißt es vielfach hinter vorgehaltener Hand. Ein Österreicher, der dort einen Verkaufsstand hat und den ganzen Tag Käse in kleinen Stückchen auf Tellern serviert, sagt, dass sich das Ganze kaum rechnet: 2,5 Meter breit ist der Stand, der 4500 Euro für die ganze Messedauer kostet. Diese Kosten übernimmt sein Bundesland. Doch für die Fixkosten (Flug/ Aufenthalt/Verpflegung) muss er nochmals 5500 Euro rechnen: „Da muss man schon viel Käse verkaufen, um das hereinzubekommen.“Die Reise nach Berlin erfolgte u. a. auf Einladung des Landwirtschaftsministeriums.