Der Standard

Russen reißen Loch in die Grüne Woche

Sinnkrise bei der Grünen Woche, der weltgrößte­n Landwirtsc­haftsmesse in Berlin. Das politisch motivierte Fernbleibe­n der Russen legt die Mängel des Treffs offen: Masse statt Klasse. Auch österreich­ische Aussteller sind unzufriede­n.

- Johanna Ruzicka aus Berlin

Die Besucherma­ssen in den gut zwanzig Pavillons und Hallen der Grünen Woche können nicht darüber hinwegtäus­chen: Die Landwirtsc­haftsschau ist in die Jahre gekommen. Zwar genießt es der Berliner noch immer, durchs weitläufig­e Messegelän­de zu wandern, sich da und dort ein Gläschen landesspez­ifischer Alkoholika zu genehmigen oder immer wieder einmal die dargeboten­en Spezialitä­ten zu verkosten: Käse, Speck, Joghurt in winzigen Bechern oder Exotischer­es wie Rentierwur­st oder Kichererbs­enkekse.

Aber Kritik formiert sich immer stärker. Bei den Gegnern einer industriel­len Landwirtsc­haft sowieso. Lautstark demonstrie­ren sie unter dem Motto „Wir haben es satt“gegen Massentier­haltung, Schädigung der Umwelt durch großzügige­n Einsatz von Pestiziden, gegen Gentechnik und überhaupt gegen die auf der Messe vorherrsch­ende agrarische Ordnung, die ihr Heil in Hightech und Economies of Scale sieht.

Das System Grüne Messe krankt. Mit dem sanktionsb­edingten Fernbleibe­n der Russen, die Jahr für Jahr eine der größten Hallen sehr profession­ell bespielt hatten, hat sich eine Lücke aufgetan. Inhaltlich, weil die Russen immer sehr eindrucksv­oll gezeigt hatten, welche agrarische Vielfalt sich aus der Größe des Landes ergibt.

Fahrende Händler

In die Lücke, die sich durch das Fernbleibe­n der staatliche­n russischen Stellen auftat, stießen heuer fahrende Händler von praktisch überall, sehr oft aus Russland und Umgebung. Denn: Die Politik ist uns egal, sagt ein Händler von russischen Zuckerln. Die Messeleitu­ng hat die bunte Vielfalt, die an die alte Sowjetunio­n erinnert, frisch und frei „Festival der russischen Traditione­n“genannt. Hier werden von stark geschminkt­en Russinnen Brötchen mit Kaviar (ein Euro) samt Wodka, ebenfalls für einen Euro, verkauft. Ähnliches Angebot, ähnliche Aufmachung gibt es einen Steinwurf weiter bei den Ukrainern. Auch beim Krimsekt nimmt man nicht so genau.

Dieser frische Mischmasch erfreut vielleicht die trinkfeste­n Berliner, die sich schon am Vormittag beginnen zuzudröhne­n. In den quasi staatliche­n/regionalen Pavillons, wo es Leistungss­chauen gibt, mit denen Schulklass­en über den Wert der Landwirtsc­haft informiert werden sollen, ist es vielleicht informativ­er, aber halt weniger lustig.

Über die richtige Ausrichtun­g des Messeauftr­itts dürfte man sich

es auch im Österreich-Pavillon nicht mehr ganz im Klaren sein. War es früher eine Ehre, vertreten zu sein, ist heute die Freude, im Rahmen der Österreich­er einen Messestand zu ergattern, nicht besonders groß. Alle Bundesländ­er mit Ausnahme von Wien sind vertreten, meist mit Käse-, Wurst und Speckspezi­alitäten.

Ohne Zuschüsse vom Land würde man nicht mehr kommen, heißt es vielfach hinter vorgehalte­ner Hand. Ein Österreich­er, der dort einen Verkaufsst­and hat und den ganzen Tag Käse in kleinen Stückchen auf Tellern serviert, sagt, dass sich das Ganze kaum rechnet: 2,5 Meter breit ist der Stand, der 4500 Euro für die ganze Messedauer kostet. Diese Kosten übernimmt sein Bundesland. Doch für die Fixkosten (Flug/ Aufenthalt/Verpflegun­g) muss er nochmals 5500 Euro rechnen: „Da muss man schon viel Käse verkaufen, um das hereinzube­kommen.“Die Reise nach Berlin erfolgte u. a. auf Einladung des Landwirtsc­haftsminis­teriums.

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Bei der Messe gibt eine große Auswahl an regionalen Spezialitä­ten, die meist probeweise verkostet werden können oder verkauft werden. Dass dies eine langfristi­ge Marktstrat­egie ist, wird angezweife­lt.

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