Sarkastische Seifenoperette
Dostojewskis „Der Idiot“am Staatsschauspiel Dresden
Inzwischen gehört er in Deutschland zu den meistgespielten Theaterautoren: Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Bühnenadaptionen seiner Romane haben in dieser Spielzeit bereits die Dramen von Ibsen und Tschechow überholt.
Ex-Burgtheaterdirektor Matthias Hartmann bietet im Staatsschauspiel Dresden mit seiner Inszenierung von Dostojewskis Idiot allerdings keine Dramatisierung des Romans an, sondern lässt die Geschichte vom Ensemble erzählen: in direkter und indirekter Rede, im Indikativ, dann wieder im Konjunktiv, und auch die vielen Kommentare des allwissenden Erzählers werden zitiert und im Erzählen vorgespielt.
Episches Theater also, doch ohne politisch-pädagogische Dialektik wie bei Brecht, sondern von komödiantischer Theatralik. Hartmann versteht es, die Schauspieler zu Spiellust zu verführen. Trotz über vier Stunden Länge ist es ein kurzweiliges Vergnügen, an eine TV-Soap erinnernd, denn vor und nach den Pausen gibt es Cliffhanger beziehungsweise Kurzzusammenfassungen.
Die komödiantischen Erzählungen unterstützt dabei die abstraktpraktikable Bühne (Johannes Schütz): Effektvoll fahren immer wieder Wände nach vorn, die den Bühnenraum in Zimmer und Wohnungen unterteilen können.
Es sind Momente großer Klarheit und tiefer metaphysischer Wahrheit, die ganz plötzlich das gesamte Erdenleben erleuchten und die Dostojewskis Titelheld Fürst Myschkin unmittelbar vor seinen epileptischen Anfällen erlebt. Hartmann zitiert diese Perspektive des Autors auf seinen Helden als Prolog. Doch damit scheinen für ihn bereits alle metaphysischen Fragen abgearbeitet. Momente blitzartiger Klarheit und Wahrheit leuchten nicht mehr auf; in Exzesse von Selbstdestruktion oder abgründiger Verbitterung wird der Zuschauer nie gezogen.
André Kaczmarczyk (Myschkin) bleibt ein liebenswürdig-naiver Idiot, der in eine Operette geraten ist: schrullige Ehen, zu verheiratende Töchter, ältere Playboys, alkoholsüchtige Rentner, begehrte Frauen von zweifelhaftem Ruf – und ein erotisches Verlangen, das Begehren mit Hass und Rache mischt.
Die sarkastischen und zynischen Pointen werden gerne lachend quittiert. Sicher bietet Boulevard ja, wenn er schauspielerisch so präzise wie hier geboten wird, immer wieder beeindruckende psychologische Kabinettstückchen: der mürrische, auf Vorschriften bedachte Kammerdiener bei General Jepantschin (Jan Maak) zum Beispiel, der sich dann doch von der Ausstrahlung des Idioten gefangen nehmen lässt. Dostojewskis schwerer, mit Religionsfragen ringender Romanwälzer also bei Matthias Hartmann als locker-leichtes, niveauvolles Theateramüsement – mehr nicht. Warum auch nicht. Wieder am 24. 1.