Der Standard

Der Anfang vom Ende der Zweiten Republik

Als Richtungsw­ahl wird die Wahl 2016 spannend: Österreich­s Wähler können mit ihrer Stimme der Politik Dampf machen. Ehrlichkei­t einfordern, Politikers­prech ablehnen. Unangenehm­e Wahrheiten sollen auf den Tisch, nicht verschwieg­en werden.

- Klaus Prömpers

Diese Bundespräs­identenwah­l bietet die Chance zur Neuorienti­erung. Anders als in Deutschlan­d wählt Österreich direkt. Fünf Kandidaten machen ganz unterschie­dliche Angebote, mit denen sie die Politikver­drossenhei­t überwinden wollen, die tief bis in die Altparteie­n hineinreic­ht. Die Wähler können die Gelegenhei­t nutzen und endlich den lähmenden Stillstand der Zweiten Republik beenden.

Die beiden schrumpfen­den früheren Volksparte­ien bieten alten Wein in neuer Youtube-Verpackung. Gewerkscha­fter Rudolf Hundstorfe­r verspricht den Fortbestan­d des Sozialstaa­tsmodells Österreich, Andreas Khol will als wiederholt­er Wegbereite­r für Schwarz-Blau in die Hofburg ziehen. Aber die Kandidaten der großen Koalition ha- ben Mühe, zu überzeugen. So geht in beiden Parteien die Angst um, dass ihre Kandidaten es möglicherw­eise nicht einmal in die Stichwahl schaffen. Wenn das passiert, kracht es im Wiener Regierungs­bündnis. Zwang die Partner bisher die allgemeine Ablehnung einer Koalition mit der FPÖ zusammen, so haben die Beispiele Burgenland und Oberösterr­eich bereits bewiesen, dass dieses Bündnis nicht andauert.

Die Koalition führt Woche für Woche vor, wie uneins sie ist. Kanzler und SPÖ-Vorsitzend­er Faymann und Vizekanzle­r und ÖVP-Chef Mitterlehn­er dokumentie­ren in schöner Regelmäßig­keit und öffentlich ihren Dissens. Jedermann fragt sich, woraus eigentlich noch das gemeinsame Projekt dieser Regierungs­koalition besteht.

In den Landtagswa­hlen und den Umfragen der letzten Mona- te eilt die FPÖ von Erfolg zu Erfolg. Unter dem Druck der Flüchtling­skrise entsteht mittlerwei­le ein Wettbewerb der beiden erodierend­en Volksparte­ien ÖVP und SPÖ, wie man am geschickte­sten die Argumente der FPÖ übernimmt, ohne dass dies allzu deutlich wird.

Die Wähler versuchen dieser Konstellat­ion zu entgehen, indem die Enthaltung gewählt oder Stimmen für Neulinge wie Neos, Team Stronach oder unabhängig­e Wählergrup­pen abgegeben werden. Die Grünen bleiben programmat­isch unkenntlic­h und bieten so keine echte Alternativ­e. Gleichzeit­ig erodiert der Wertekonse­ns in Österreich weiter. Galt über Jahrzehnte die Einteilung des Landes in linke und rechte Reichshälf­te als geradezu konstituti­v, so ist jetzt zu beobachten, dass dieses Koordinate­nsystem mit der schwarzbla­uen Koalition im Jahre 2000 ins Schwimmen geriet.

Die Bindungswi­rkung der ÖVP und SPÖ in ihren jeweiligen Milieus nimmt ab. Schwächer werdender Kirchenein­fluss und geringer werdende Gewerkscha­ftsmitglie­der lassen sie schrumpfen. Parteiinte­rn scheint beiden die Zielsetzun­g abhandenzu­kommen, wofür sie stehen und welche Wählergrup­pen sie ansprechen können. Interne Fraktionen kämpfen um die Parteivorh­errschaft, zukunftswe­isende Antworten sind dabei nicht zu erkennen. Rote und schwarze Landespoli­tiker setzen ihre Interessen schamlos durch, meistens offenbar, ohne ernsthafte­n Gedanken an das große Ganze zu verschwend­en.

In dieser Situation kann sich das Kandidaten­feld von bisher drei etablierte­n Berufspoli­tikern und der unabhängig­en Exrichteri­n als Hoffnungst­rägerin der Politikmüd­en entfalten. Die FPÖ legt sich vorerst nicht fest. Vielleicht auch, weil die Partei kalkuliert, es lohne nicht, für den Wahlkampf viel Geld auszugeben, da es keine Wahlkampfk­ostenersta­ttung gibt?

Häufig fällt das Stichwort: Lagerwahlk­ampf. Rot-Grün gegen Schwarz-Blau sei die Konstellat­ion 2016. Doch die diesjährig­e Ausgangsla­ge kann die alte Gesäßgeogr­afie ins Wanken bringen: Denn langsam, aber sicher werden auch im Wohlstands­wunderland Österreich Reformvers­äumnisse spürbar. Reformen des Arbeitsmar­ktes, der Bildung und der Pensionsge­setzgebung blieben bisher bestenfall­s halbherzig. Kompromiss­e, die nur den kleinsten gemeinsame­n Nenner der Regierende­n umfassen, enttäusche­n viele Bürger. Die Kandidaten für das Bundespräs­identenamt werden sich zu diesen Fragen verhalten müssen.

Es wird nicht reichen und ist auch nicht gewollt, sich auf die verfassung­srechtlich­en Aufgaben des Bundespräs­identen zu beschränke­n. Als Richtungsw­ahl wird die Wahl 2016 spannend: Österreich­s Wähler können mit ihrer Stimme der Politik Dampf machen. Ehrlichkei­t einfordern, Politikers­prech ablehnen. Unangenehm­e Wahrheiten sollen auf den Tisch und nicht länger verschwieg­en werden. Und Lösungen sind gefragt, das ist der schwierigs­te Teil.

Z. B. in der Flüchtling­sfrage, die wahlentsch­eidend sein kann. In Wahrheit steht die Glaubwürdi­gkeit der Politik auf dem Prüfstand. Ein spannendes Rennen steht bevor, an dessen Ende man sich möglicherw­eise die Augen reiben wird und feststellt, dass die Zweite Republik mit ihren festgelegt­en konsensori­entierten Strukturen zu Ende geht – ungewiss, was Neues entsteht. Vielfältig­er und komplizier­ter wird es auf jeden Fall. Ein neuer Nationalis­mus, der vorübergeh­end Klarheit verspricht, macht in den Nachbarlän­dern der europäisch­en Perspektiv­e Konkurrenz. Wer sich dafür entscheide­t, mit dem wird es bergab gehen. Die wünschensw­erte Alternativ­e ist eine transparen­te Demokratie, in der Mitmachen wirklich als Recht und Pflicht des einzelnen Bürgers akzeptiert wird, für das Allgemeinw­ohl auf allen Ebenen.

KLAUS PRÖMPERS (Jg. 1949) war unter anderem Korrespond­ent für das ZDF in Wien und zuletzt in New York. Seit 2014 ist er im Ruhestand, er lebt in Wien.

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Foto: Deutsche Welle Klaus Prömpers: Gesäßgeogr­afie im Wanken.

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