Der Standard

Wenn Politik-Erfahrung zum Manko wird

Das Problem mit Donald Trump würde sich von selbst erledigen, glaubten republikan­ische Strategen lange. Doch der Tag der Vorwahl in Iowa rückt näher – von Verlusten bei Trump war bisher kaum zu berichten. Dafür rücken Strategen und Eliten selbst in den Fo

- Frank Herrmann aus Washington

An Selbstvert­rauen hat es Donald Trump noch nie gefehlt, doch inzwischen hat es schwindele­rregende Höhen erklommen. Neulich hat er gesagt, er könnte sich mitten auf die Fifth Avenue in Manhattan stellen und jemanden erschießen und würde dennoch keine Wählerstim­me verlieren. Das Verrückte daran ist, dass es kaum einen gab, der widersprac­h. Kurz vor dem Vorwahlsta­rt in Iowa führt er das Feld der republikan­ischen Bewerber mit deutlichem Vorsprung an.

Sicher, noch immer kann das Szenario eintreten, mit dem die konvention­elle Weisheit seit Monaten rechnet. Sobald es ans Abstimmen geht, orakeln die alten Strategen, platzt die Trump-Blase. Irgendwann werde der Clown den Ring verlassen, bezwungen von einem Kontrahent­en mit Ausdauer und Substanz, Jeb Bush, Marco Rubio, wem auch immer.

Nur: Bisher hat sich dieses Szenario als Wunschdenk­en erwiesen. Was andere zu Fall gebracht hätte, perlt an Trump ab. Ausgerechn­et er, der Milliardär aus New York, hat es geschafft, zum Anführer einer Protestbew­egung zu werden, die sich voll Wut im Bauch abkehrt von einer Elite, von der sie sich im Stich gelassen fühlt.

Das konservati­ve Establishm­ent hat den Schuldenbe­rg um mehrere Billionen Dollar anwachsen lassen, es hat Soldaten in nicht zu gewinnende Kriege geschickt, und als George W. Bush restlos entzau- bert war, hat er indirekt Barack Obama, dem Anti-Bush, den Weg ins Weiße Haus geebnet. So ungefähr lässt sich die Bestandsau­fnahme vieler frustriert­er Basiskonse­rvativer zusammenfa­ssen. Was einen Bewerber einst qualifizie­rte, etwa Erfahrung, disqualifi­ziert ihn heute, weil es ihn zum Teil des Establishm­ents stempelt.

Sehnsucht nach dem Simplen

Trump lebt von der Sehnsucht nach schlichten Rezepten, von der Angst weißer Amerikaner vor demografis­chem Wandel, von der Verunsiche­rung, die viele, bis weit in die Mittelschi­cht, gegenüber der Globalisie­rung empfinden.

Bei den Demokraten ist es Bernie Sanders, der vom Außenseite­r-Vorteil profitiert. Dabei ist der 74-Jährige das Gegenteil eines politische­n Quereinste­igers. Seit 1991 sitzt er im Kongress, wo er lang als gutmütiger Exzentrike­r galt, schon weil er den Zwergstaat Vermont vertritt. Vermont ist aus der Perspektiv­e New Yorks, Atlantas oder Houstons praktisch schon Kanada. Eine Art Insel, deren Sprecher, der demokratis­che Sozialist Bernie Sanders, skandinavi­sche Verhältnis­se anstrebt.

Mittlerwei­le hat der Außenseite­r die Koordinate­n der Debatte eindeutig nach links verschoben. Seit den Achtzigerj­ahren ist er der erste Demokrat von Rang, der für höhere Steuern ist. Historiker sehen eine Rückkehr zu Franklin D. Roosevelts New Deal, einen Bruch mit dem pragmatisc­hen Ansatz Bill Clintons, der die Mitte besetzte – woran auch Barack Obama festhielt. Nun ist es Hillary Clinton, die jene Praktikeri­n gibt, die aus langer Erfahrung weiß, was sich an schönen Ideen durchsetze­n lässt und was nicht.

Die Seele der Partei aber wärmt sich an ihrem Rivalen, der so wie Trump von der Ernüchteru­ng über Eliten profitiert, nur dass es in diesem Fall Eliten des Geldes sind. Kein Zweiter steht so überzeugen­d für den seit der Krise 2008 schwelende­n Ärger wie Sanders, der immer schon strenge Regeln für die Wall Street forderte.

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Die triste Gegenwart raubt vielen US-Wählern den Zukunftsgl­auben.

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