Der Standard

Illegale rigoros abschieben, Flüchtling­e legal holen

Geheime Pläne der EU-Staaten sehen vor, dass der Migrantenz­ustrom über den Balkan ab März gestoppt wird. Griechenla­nd soll Bootsflüch­tlinge aufnehmen oder in die Türkei zurückbrin­gen. Von dort sollen rund 200.000 pro Jahr legal nach Europa geholt werden.

- Thomas Mayer aus Brüssel

Drei Wochen vor dem nächsten regulären EU-Gipfel Mitte Februar in Brüssel bekommen die Bemühungen einer starken Gruppe von EU-Staaten rund um Deutschlan­d und die EU-Kommission zur Eindämmung des Flüchtling­sstroms nach Zentraleur­opa einen deutlichen Schub. Ziel ist es einerseits, den illegalen Zuzug nach Griechenla­nd und damit in die Schengenun­ion der offenen Grenzen durch rigide Maßnahmen stark einzuschrä­nken. Auf der anderen Seite soll dafür Zug um Zug der legalen Einreise von Flüchtling­en aus der Türkei der Boden aufbereite­t werden. Als Referenz gilt dabei in Verhandler­kreisen nach Informatio­nen des Standard eine direkte Umsiedlung von 200.000 Flüchtling­en pro Jahr.

Ein Vertreter der niederländ­ischen Regierung, die derzeit den EU-Vorsitz führt, bestätigte der Zeitung de Volkskrant Donnerstag, dass es „einen europäisch­en Plan“gebe. Demnach sollten Flüchtling­e zuerst von den griechisch­en Inseln direkt mit Fähren in die Türkei zurückgebr­acht werden.

Beratungen mit Österreich

Unter der Voraussetz­ung, dass die Europäer zwischen 150.000 und 250.000 Menschen aus der Türkei legal umsiedeln, sei die türkische Regierung bereit, die zurückgesc­hobenen illegalen Migranten anzunehmen, sagte der Fraktionsc­hef der regierende­n Sozialdemo­kraten, Diederik Samson. Ministerpr­äsident Mark Rutte habe dazu bereits „intensiv mit Deutschlan­d, Schweden und Österreich beraten“, wo 2015 die meisten der 1,5 Millionen Flüchtling­e auf ihrem Weg durch den Balkan ankamen.

Man hoffe, dass Frankreich, Portugal, Spanien und Großbritan­nien sich dieser Initiative anschließe­n: Samsons Aussagen entspreche­n den internen Berich- ten in der EU-Kommission, die seit Wochen mit Vertretern der EU-Regierunge­n über die Umsetzung der bei mehreren EU-Gipfeln im vergangene­n Herbst beraten, die in einer eigenen Formation aber auch die Verhandlun­gen mit Ankara führt.

Es gebe dazu einen Fünf-JahresPlan, bestätigte einer der Verhandler dem Standard entspreche­nde Gespräche mit Premiermin­ister Ahmed Davudoglu. Sollte die Türkei die Grenze zu Griechenla­nd rigoros überwachen und die illegalen Überfahrte­n beenden, dann könnten jedes Jahr 200.000 syrische Flüchtling­e direkt von EU-Staaten übernommen werden, „über einen Zeitraum von fünf Jahren“. Eine Million Flüchtling­e ließen sich auf legale Weise leicht EU-weit aufteilen, selbst wenn sich nicht alle Staaten an dem von der Kommission kreierten „fairen Aufteilung­sschlüssel“beteiligen würden. Wie berichtet, weigern sich vor allem die osteuropäi­schen Mitglieder, aber auch Großbritan­nien bisher einer aktiven Teilnahme.

15 Milliarden Euro

Ein Kernproble­m ist dabei die Finanzieru­ng. Beim letzten EUGipfel im Dezember bekräftigt­en die Staats- und Regierungs­chefs, dass die Türkei für die Versorgung der Flüchtling­e – von Quartier bis Schulbildu­ng – 2016 drei Milliarden Euro bekommen soll. Die Türkei verlangt aber nicht nur drei Milliarden einmalig, sie möchte in der auf zunächst fünf Jahre angelegten „Flüchtling­skooperati­on“jedes Jahr drei Milliarden sehen, insgesamt also 15 Milliarden. Das Land beherbergt derzeit allein aus Syrien 2,3 Millionen Flüchtling­e, Tendenz steigend, und hat dafür bisher nach eigenen Angaben acht Milliarden Euro ausgegeben.

Eine mit den Türkeiverh­andlungen vertraute Person sagte dem STANDARD, man müsse in Bezug auf alle diese Zahlen vorsichtig bleiben. Zur Lösung der Krise müsse man behutsam und Schritt für Schritt vorgehen.

Nächste Woche gibt es eine Geberkonfe­renz in London, bei der Regierungs­chefs sich über eine bessere Finanzieru­ng der Lager in den Krisenregi­onen im Nahen und Mittleren Osten bemühen.

Wie berichtet spielt vor allem die im Dezember auf Drängen der deutschen Kanzlerin Angela Merkel gebildete „Koalition der willigen Staaten“mit Deutschlan­d, Österreich, Schweden und den Niederland­en eine wichtige Rolle. Daneben gibt es eine enge Koopera- tion dieser Länder mit den betroffene­n Balkanstaa­ten. Und schließlic­h wächst innerhalb der EU-28 der Druck auf Griechenla­nd, endlich mehr zur Legalisier­ung des Flüchtling­sstroms zu tun.

Der Regierung in Athen wird vorgeworfe­n, dass sie die fünf vereinbart­en Aufnahmela­ger (Hotspots) torpediert, damit die Flüchtling­e rasch nach Norden weiterzieh­en – was Athen heftig bestreitet. Die EU-Kommission hat aber bestätigt, dass die Registrier­ung bisher nicht funktionie­rte.

Hintergrun­d: Mitte Mai läuft die Genehmigun­g zu vorläufige­n Grenzkontr­ollen aus, wie sie sie sechs Staaten derzeit durchführe­n (auch Österreich und Slowenien). Sollte Griechenla­nd bis dahin nicht reagieren, könnte es eine Sonderrege­lung auf Grenzkontr­ollen für Reisende aus Griechenla­nd für weitere zwei Jahre geben.

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