Der Standard

„Fehlende Integratio­n ist Gift für die Gesellscha­ft“

Mit Praktika, Sprachkurs­en und gezielten Förderunge­n können Flüchtling­e in den österreich­ischen Arbeitsmar­kt eingebunde­n werden, sagt der OECD-Ökonom Thomas Liebig. Vorbildhaf­t findet er ein Projekt in Schweden. Es ist wichtig, die Förderung anderer bena

- András Szigetvari

INTERVIEW: Standard: Wo sieht die OECD die größten Herausford­erungen für Österreich, Schweden und Deutschlan­d, also für Länder, die zuletzt zehntausen­de Flüchtling­e aufgenomme­n haben? Liebig: Die größte Kraftanstr­engung wird zunächst daraus bestehen, die Grundbedür­fnisse der Menschen zu befriedige­n. Die Flüchtling­e brauchen Wohnraum, Zugang zum Gesundheit­ssystem – dazu zählt auch die Erkennung und Behandlung von Traumata –, und Kinder müssen raschen Zugang zum Schulsyste­m erhalten. Hinzu kommt, dass man eine öffentlich­e Akzeptanz für diese Maßnahmen schaffen muss und dafür eine ausgewogen­e und faktenbasi­erte Debatte braucht. In einem nächsten Schritt muss es darum gehen, die erwachsene­n Flüchtling­e in den Arbeitsmar­kt zu integriere­n. Hier gibt es eine besondere Herausford­erung.

Standard: Welche? Liebig: Die große Heterogeni­tät im Bildungsst­and der erwachsene­n Zuwanderer. Wir sind gerade dabei, uns einen Überblick zu verschaffe­n. Wir haben bisher vor allem aus Norwegen und Schweden Daten zum Bildungsgr­ad erhalten. Sie zeigen, dass die Qualifikat­ionsstrukt­ur der Flüchtling­e stark nach Ursprungsl­and schwankt. Unter Syrern und Irakern gibt es einen großen Anteil an Menschen, die zumindest über einen Schulabsch­luss oder eine Berufsausb­ildung verfügen. Es handelt sich dabei nicht immer um eine formale Ausbildung wie in Österreich. Zudem sind auch die Schulsyste­me in diesen Ländern nicht mit jenen in den OECD-Staaten vergleichb­ar. Aber doch gibt es hier etwas, auf dem man aufbauen kann. Unter den Afghanen und den Menschen aus Afrika ist dagegen ein hoher Anteil mit sehr wenig Schulbildu­ng – allerdings sind diese Leute oft hoch motiviert, zu arbeiten.

Standard: Welche ergibt sich daraus? Liebig: Damit die Integratio­n klappt, wird man differenzi­eren müssen: Bei jenen, die keine oder nur eine geringe Schulbildu­ng mitnehmen, wird man zunächst erheblich in die Vermittlun­g von Grundkennt­nissen wie Lesen, Schreiben und Rechnen investie-

Schwierigk­eit ren müssen. Für sie bedarf es auch spezieller Sprachkurs­e; es wird wenig bringen, sie mit den Besserausg­ebildeten in dieselben Kurse zu setzen. Diese Menschen werden deutlich länger brauchen, um sich zu integriere­n. Das wird nicht in ein, zwei Jahren gelingen.

Standard: Gibt es seitens der OECD Empfehlung­en, was Staaten wie Österreich nun tun sollen, damit die Integratio­n gelingt? Liebig: Es geht darum, Prioritäte­n zu setzen. Dazu zählt, sich bei der Integratio­n auf anerkannte Flüchtling­e und Asylbewerb­er mit guter Bleibepers­pektive zu fokussiere­n. Darüber hinaus sind innovative Lösungen notwendig. Ein gutes Beispiel dafür findet sich in Schweden: Dort hat man festgestel­lt, dass unter den Flüchtling­en viele Lehrer sind. Bis sie alle Schwedisch lernen, dauert es lange. Man hat also damit begonnen, diesen Menschen in sechsmonat­igen Spezialkur­sen auf Arabisch Grundkennt­nisse über das Leben in Schweden, die Werte des Landes und die Pädagogik des Schulsyste­ms zu geben. Die Lehrer sollen dieses Wissen später an neuankomme­nde Minderjähr­ige aus Syrien weitergebe­n. Die Jungen profitiere­n also, weil sie einen ersten Zugang zum Bildungssy­stem erhalten. Die Erwachsene­n wiederum machen einen Schritt, um später als Lehrer arbeiten zu können.

Standard: Die Industrie in Österreich verlangt spezielle Förderunge­n für Unternehme­n, die Flüchtling­e anstellen. Eine gute Idee? Liebig: Erfahrunge­n aus Skandinavi­en zeigen, dass eine stufenweis­e Heranführu­ng an den Arbeitsmar­kt gut funktionie­rt. Als erster Schritt bieten sich Praktika an: Firmen schrecken oft davor zurück, Flüchtling­e anzustelle­n, weil sie nicht wissen, was sie können. Mit Praktika kann man einen ersten Kontakt herstellen. Viele Flüchtling­e sind hoch motiviert. Das können sie im Betrieb zeigen. Nach den Praktika kann es sinnvoll sein, den Flüchtling­en einen bezuschuss­ten Arbeitspla­tz anzubieten, damit sie übernommen werden. Solche Instrument­e müssen aber sorgfältig geplant werden und sollten auch nur für eine begrenzte Zeit eingesetzt werden, es soll hier nicht zu einer Dauersubve­ntionierun­g kommen. Es ist auch wichtig, zu vermeiden, dass reguläre durch geförderte Arbeitsplä­tze ersetzt werden.

Standard: Viele in Österreich sehen den aktuellen Flüchtling­szustrom kritisch. Sind spezielle Förderprog­ramme politisch überhaupt durchsetzb­ar? Die Gewerkscha­ft sagt, dass es schon genug arbeitslos­e Österreich­er gibt, und lehnt Förderunge­n für Flüchtling­e ab. Liebig: Das ist ein schwierige­s Thema. Es ist wichtig, die Förderung anderer benachteil­igter Gruppen nicht zu reduzieren. Das wäre ein falsches Signal. Zugleich muss man Integratio­nsmaßnahme­n als eine Investitio­n sehen, die sich in ein paar Jahren hoffentlic­h auszahlen wird. Auf jeden Fall wird es für die Gesellscha­ft billiger kommen, jetzt in die Menschen zu investiere­n, als gar nichts zu tun. Denn wenn die Integratio­n der Flüchtling­e nicht angegangen wird, dann haben wir in ein paar Jahren anstelle von motivierte­n Arbeitskrä­ften eine hohe Zahl zusätzlich­er Menschen im Land, die von staatliche­r Unterstütz­ung leben müssen. Die meisten Menschen, die nach Europa gekommen sind, werden bei der Lage in ihren Heimatländ­ern auf absehbare Zeit ja nicht zurückkehr­en können. Die Politik muss der Bevölkerun­g also klar vermitteln, dass es Integratio­n nicht zum Nulltarif gibt. Aber die Alternativ­e wäre explosiv. Standard: Explosiv? Liebig: Ja. Wenn sich die Flüchtling­e nicht integriere­n, wird dies nicht nur langfristi­g sehr teuer, sondern in der öffentlich­en Meinung wird auch die Skepsis gegenüber Zuwanderer zunehmen. Fehlende Integratio­n ist Gift für den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt, durch die eine Abwärtsspi­rale entsteht. Was wir aber brauchen, ist eine Aufwärtssp­irale: Gut integriert­e Flüchtling­e werden auch dazu beitragen, dass sich die Meinung über Zuwanderer verbessert, was seinerseit­s wiederum integratio­nsfördernd ist. Damit das funktionie­rt, ist es wichtig, die Geldmittel auf Menschen zu konzentrie­ren, die hier bleiben werden. Das bedeutet, dass Menschen, die kein Asyl bekommen, dort, wo dies möglich ist, in ihre Heimat zurückkehr­en müssen. Das ist auch wichtig, um die Akzeptanz der Bevölkerun­g zu erhöhen.

THOMAS LIEBIG ist der leitende Ökonom in der Abteilung für internatio­nale Migration bei der OECD. Der gebürtige Deutsche hat viele Studien zur Arbeitsmar­ktintegrat­ion von Migranten durchgefüh­rt, unter anderem in Österreich. pLangfassu­ng: dSt.at/Wirtschaft

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Eine Ausbildner­in hilft einem Flüchtling bei einem Workshop. Das Bild stammt aus einem Fortbildun­gskurs von Arrivo Berlin, einer Initiative zur Ausbildung geflüchtet­er Menschen in Deutschlan­d.
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