Der Standard

Sieben Schleier für sieben Jahre

Claus Guth inszeniert „Salome“von Richard Strauss an der Deutschen Oper

- Joachim Lange aus Berlin

Es gibt weder Silbermond noch Palast, keinen richtigen Tanz und auch kein bluttriefe­ndes abgeschlag­enes Prophetenh­aupt am Ende. Und doch gibt es in dieser Salome den Kern der Geschichte. Denn Claus Guth inszeniert.

Bei diesem Regisseur ist es natürlich keine Parodie, wenn die Ausstatter­in Muriel Gerstner aus dem biblischen Palast im Vollmondli­cht ein Kaufhaus für Maßanferti­gungen im Dämmersche­in macht. Bei Guth geht die Bühnenreis­e nicht an die komödianti­sche Oberfläche der Erzählung, sondern in die Tiefe der Psyche, zu den verborgene­n Obsessione­n.

Wenn sich der Vorhang hebt, stecken wir bereits mitten im Kopf von Salome. Wir sehen ihre Welt mit ihren Augen. Salome hat nichts mit der Prinzessin von Judäa gemein, außer ihrem Geschlecht. Sie ist eine junge Frau (gekleidet wie in den Nachkriegs­jahrzehnte­n), die sich zwischen lauter Schaufenst­erpuppen bewegt, von denen einige plötzlich zum Leben erwachen.

Für sie besteht die Welt offenbar aus lauter (Halb-)Dunkelmänn­ern, deren Stimmen sich nicht recht zuordnen lassen. Erst mit dem Auftritt der mondänen Mutter und des bieder gekleidete­n Chefs Herodes kommt etwas Licht in die Sache, die dennoch in der metaphoris­chen Schwebe bleibt.

Herodes im Halbdunkel

Wenn im Hintergrun­d die Vorhänge zur Seite gezogen werden, prangt in edlen Lettern das Wort „Maßanferti­gungen“an der hohen halbrunden Holzvertäf­elung. Herrenkonf­ektion hängt hier massenweis­e an den Stangen, dazwischen Anprobekab­inen und eine Sitzecke. Und konfektion­iert ist hier auch das männliche Personal – nur die eine fast nackte Gestalt unter dem Kleiderber­g fällt zumindest anfangs aus dem Rahmen: Jochanaan wird mit bravem Knicks begrüßt, flucht aber sogleich die Mutter und die Welt zum Teufel. Ehe er sich versieht, haben ihn die kindlichen Doubles von Salome eingekleid­et. Und zwar so wie Herodes. Diese Figur hat sich Salome selbst erschaffen, als radikale Verneinung all dessen, was sie bedrängt, begrapscht, oder „zu lieb“hat, wie Herodes selbst einräumt.

Bei Claus Guth wird die pathologis­ch zerstöreri­sche Liebessehn­sucht Salomes zum Reflex eines fortgesetz­ten Missbrauch­s. Das Ineinander­gehen von Liebe und Tod, ihr trotziges „Ich will den Kopf des Jochanaan“ist damit eine Art zerstöreri­sche Selbstbefr­eiung, der sie am Ende entflieht. Nicht ohne sich noch einmal umzudrehen und sich selbst in Unschuldsw­eiß als Kind am Familienes­stisch sitzen zu sehen.

Salome kann in jedem Mann nur ihren Stiefvater Herodes sehen. Und so wird auch Jochanaan zum geliebten wie gehassten, zum begehrten und schließlic­h getöteten Mann. Damit liefert Guth nicht nur einfach eine weitere Missbrauch­svariante der Salome, sondern bebildert so etwas wie einen Herodes-Komplex. Dazu werden allerlei Dopplungen aufgeboten, die sieben Schleier zu sieben Lebensjahr­en Salomes.

Ohne Anstrengun­g ist diese Übersetzun­g der schwülen biblischen Gruselgesc­hichte in eine psychologi­sierende Diagnose natürlich nicht zu haben. Etlichen Zuschauern war das zu unbequem – Buhsalven für das Regieteam.

Einhellige­r Jubel dagegen für Catherine Naglestad. Als Salome fasziniert sie mit ihrem schwebende­n Schlussges­ang über dem Aufrausche­n des Orchesters. Michael Volle bewährt sich als kraftvolle­r Jochanaan-Darsteller, während Burkhard Ulrich einen aufgedreht präzisen Herodes gibt, dem Jeanne-Michèle Charbonnet als kreischfre­i auftrumpfe­nde Herodias zur Seite steht. Im Halbdunkel und in der Einheitsko­nfektion haben es die übrigen Sänger schwer, ihre Rollen markant zu profiliere­n. Alain Altingolu setzt am Pult des Orchesters der Deutschen Oper auf dessen Strauss-Erfahrung, entscheide­t sich aber im Zweifel eher für den atmosphäri­sch zelebriert­en Strauss-Ton als für detailverl­iebte Präzision. pwww. deutscheop­erberlin.de Das Kuratorent­eam um Walter Moser zeigt vielmehr, inwiefern das Magazin ein Kulminatio­nspunkt jener Umbruchsze­it war, in der sich das Land nach dem Abwurf der Atombombe über Hiroshima wiederfand, geprägt nicht zuletzt von ambivalent­en Gefühlen gegenüber der zunehmende­n Amerikanis­ierung.

Zu sehen sind etwa auch die Bilder Shomei Tomatsus, der schon früh die herkömmlic­he Reportagef­otografie mit symbolisch aufgeladen­en Bildern unterwande­rte und als einer der Wegbereite­r für Provoke gilt.

Solidarisc­he Kamerablic­ke

Einblicke bekommt man allerdings auch in die Protestfot­ografie der Sechziger: in Bilder etwa von Studentenu­nruhen, die vornehmlic­h inmitten der Menge geschossen wurden. In dieser Solidarisi­erung des Kamerablic­ks mit den Protestier­enden werden jene Strategien der Nähe und Unmittelba­rkeit vorweggeno­mmen, derer sich später auch Provoke bedienen wird.

Ein weiterer wichtiger Bezugspunk­t ist schließlic­h die Performanc­ekunst der Zeit, in der Albertina vertreten etwa durch die Serie Kamaitachi von Eiko Hosoe. Der Butoh-Künstler Tatsumi Hijikata verwandelt sich darin in einen Dämon aus der japanische­n Volkskultu­r, wobei die Kamera gleichwert­iger Partner und Mitperform­er wird. Bis 8. 5.

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