Der Standard

So klug waren Babylons Astronomen

Ein Wissenscha­ftshistori­ker behauptet, dass bereits Astronomen in Babylon die Bahn des Planeten Jupiter berechnen konnten. Der spektakulä­re Fund bedeutet, dass sie über geometrisc­he Kenntnisse verfügten, die erst im 14. Jahrhunder­t „wiederentd­eckt“worden

- Klaus Taschwer

– Jupiter ist nicht nur der größte Planet unseres Sonnensyst­ems. Er ist auch das vierthells­te Objekt am Nachthimme­l. Da er von der Erde aus mit bloßem Auge zu erkennen ist, war der Gasriese bereits in der Antike bekannt.

Bei den alten Babylonier­n genoss der Planet besondere Verehrung: Marduk, die höchste Gottheit Babylons, wurde mit Jupiter gleichgese­tzt. Der besonderen Wertschätz­ung entsprach auch ein beeindruck­endes Wissen über die Himmelskör­per.

Bereits Jahrhunder­te vor unserer Zeitrechnu­ng analysiert­en die Astronomen Mesopotami­ens die Bewegungen der Sonne, des Mon- des und einiger Planeten streng empirisch. Und sie dürften dabei bereits über Berechnung­smethoden verfügt haben, die erst mehr als 1400 Jahre später in Europa neu erfunden wurden und eine Art Vorstufe zur Infinitesi­malrechnun­g darstellen, wie der Wissenscha­ftshistori­ker Mathieu Ossendrijv­er nun im Fachmagazi­n Science behauptet.

Ossendrijv­er ist Astronom und Keilschrif­texperte an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin, in den letzten 14 Jahren verbrachte er jährlich eine Woche im British Museum, um dort Tafeln mit astronomis­chen und mathematis­chen Texten zu studieren. Der Forscher stand nämlich seit vielen Jahren vor einem Rätsel: Er hatte auf zwei astronomis­chen Tontafeln, die zwischen 2050 und 2350 Jahre alt sind, auch die Beschrei- bung eines Trapezes gefunden, das prima vista nichts mit astronomis­chen Fragen zu tun hatte.

Ähnliche Beschreibu­ngen hatte er auf mathematis­chen Tafeln entdeckt, die rund 1500 Jahre älter waren. Gab es da einen Zusammenha­ng? Zur spektakulä­ren Lösung des Rätsels trug der emeritiert­e österreich­ische Assyriolog­e und Wissenscha­ftshistori­ker Hermann Hunger (Uni Wien) bei, der Ossendrijv­er Ende 2014 ein altes Foto einer Tontafel aus dem British Museum zukommen ließ.

Dadurch wurde nämlich offensicht­lich, dass es sich bei den geometrisc­h-arithmetis­chen Berechnung­en mit dem Trapez um die Bahn des Jupiter handelt, dessen Bewegung am Sternenhim­mel sich immer wieder beschleuni­gt und verlangsam­t. Das wiederum bedeutet, dass die Babylonier bereits eine Art Zeit-Geschwindi­gkeits-Diagramm verwendete­n, das erst im 14. Jahrhunder­t in Europa „wiedererfu­nden“wurde und eine einfache Vorform der Infinitesi­malrechnun­g darstellt.

Zwar benützten auch die alten Griechen Arithmetik und Geometrie für astronomis­che Berechnung­en, so Ossendrijv­er. An die Abstraktio­n der unbekannte­n babylonisc­hen Astronomen und Mathematik­er sind sie aber nicht herangekom­men.

 ?? Fotos: Wikimedia, British Museum ?? Berlin/Wien Die babylonisc­he Gottheit Marduk (links) wurde mit Jupiter gleichgese­tzt. Die damaligen Astronomen konnten die Bahn des Planeten bereits mit raffiniert­en Methoden berechnen, wie eine Tontafel (rechts) offenbarte.
Fotos: Wikimedia, British Museum Berlin/Wien Die babylonisc­he Gottheit Marduk (links) wurde mit Jupiter gleichgese­tzt. Die damaligen Astronomen konnten die Bahn des Planeten bereits mit raffiniert­en Methoden berechnen, wie eine Tontafel (rechts) offenbarte.
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