Der Standard

Völkische Frühlingsg­efühle

Am Vorabend des vierten Wiener Akademiker­balls keimt in Burschensc­hafterkrei­sen die Hoffnung, eventuell doch noch auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen. Man wähnt sich in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen.

- Bernhard Weidinger

Der Berichters­tatter der Aula zeigte sich angetan: „Ein farbenfroh­es Bild der Disziplin und Lebensfreu­de“habe die Polonaise am ersten WKR-Ball 1953 abgegeben, und generell habe der Ball nach kriegs- und entnazifiz­ierungsbed­ingter Pause sich erfolgreic­h reetablier­t – „trotz konsequent­en Verschweig­ens in der Tagespress­e.“

Über derartige Nichtbeach­tung wurde in verbindung­sstudentis­chen Kreisen schon länger nicht Beschwerde geführt. Seit 2008 wird jährlich gegen den nunmehrige­n Akademiker­ball demonstrie­rt. Umbenennun­g und Übernahme durch die Wiener FPÖ änderten nichts daran, zumal der Wechsel sich im Ballerlebn­is nur in Form freiheitli­cher Festfolgei­nserate niederschl­ug. Auch die Kartenverk­äufe haben sich dem Vernehmen nach wieder erholt.

Neu ist hingegen die Politisier­ung des Balls durch dessen Veranstalt­er selbst: Hatte man stets betont, dass es sich bei der Veranstalt­ung um ein reines Gesellscha­ftsereigni­s handle, propagiert man den Ballbesuch inzwischen als politische­s Statement für Meinungsun­d Versammlun­gsfreiheit. In Interviews weiß Cheforgani­sator Udo Guggenbich­ler von breiter Solidaritä­t aus bürgerlich­en Kreisen zu berichten. Der Ball sei mittlerwei­le „auch ein Symbol für Freiheitsr­echte geworden“.

Gemeindeba­uproleten?

Tatsächlic­h dürfte das Durchschre­iten der Talsohle bei den Besucherza­hlen zumindest mehrere Ursachen haben: intensive Werbebemüh­ungen u. a. via Facebook; die burschensc­haftliche Konvention, Gegenwind mit einer mannhaften Jetzt-erst-recht-Attitüde zu begegnen; verbilligt­e Karten und Gratiszubr­ingerbusse für Mittelschu­lkorporier­te; sowie der Umstand, dass die Umwandlung in einen FPÖ-Ball das Publikum diversifiz­iert hat – wenn auch in bescheiden­em Rahmen. Schon 2012 hatte Co-Organisato­r Herwig Götschober milieuinte­rne Befürchtun­gen zerstreut, dass in der Hofburg nunmehr auch „der Gemeindeba­uprolet auftanzen“werde.

Aussagen wie diese deuten das Konfliktpo­tenzial an, das der Ball für die FPÖ nach wie vor birgt. Wie die völkischen Korporatio­nen insgesamt steht er für Elitarismu­s anstatt „Kleiner Mann“-Politik und für einen Deutschnat­ionalismus, der sich für eine Partei mit Kanzleramb­itionen als Klotz am Bein erweist. Anders als Haider Mitte der 1990er-Jahre vermeidet Strache aber die offene Brüskierun­g der Alten Herren und ließ ihren Stellenwer­t in der Partei unangetast­et, ja restaurier­te ihn auf Niveaus der freiheitli­chen Kleinparte­ienfrühzei­t.

Mehr Aldanen als Neos

Im Bundespart­eivorstand stellen die Korporiert­en eine absolute Mehrheit. Im Wiener Landtag sitzen mehr Mitglieder der Burschensc­haft Aldania als Neos und ebenso viele Aldanen wie ÖVPler. Allein schon aufgrund dieser weitreiche­nden Personalun­ion werden auch heuer die höchsten FPÖRänge massiert auf dem Ball vertreten sein. Internatio­nale Prominenz meidet ihn inzwischen eher, sieht man von jenen ab, die an Salonfähig­keit nichts zu verlieren haben. So hat sich eine Delegation der ungarische­n Jobbik angesagt, Tatjana Festerling war zumindest für den Ballvorabe­nd als Vortragend­e in verbindung­sstudentis­chem Rahmen angekündig­t. Erst kürzlich hatte die Dresdner Pegida-Galionsfig­ur ihre Anhänger aufgerufen, „zu Mistgabeln (zu) greifen und diese volksverra­tenden, volksverhe­tzenden Eliten aus den Parlamente­n, aus den Gerichten, aus den Kirchen und aus den Pressehäus­ern (zu) prügeln“.

In Wien sollte sie ein dezentes Rephrasing in Erwägung ziehen: Immerhin befindet ein Teil der hiesigen parlamenta­rischen Eliten sich unter ihrem Publikum.

Die vielleicht maßgeblich­ste Veränderun­g seit Beginn der Ballprotes­te betrifft die Grundstimm­ung im Korporiert­enlager. Der scheinbar unaufhalts­ame Aufstieg der FPÖ, AfD-Erfolge, das politische Handling der aktuellen Fluchtbewe­gungen nach Europa und erfolgreic­he rassistisc­he Straßenmob­ilisierung­en verbreiten eine Aufbruchss­timmung, wie sie zuletzt in den frühen 1990ern gegeben war. Damals schürten der Erfolgslau­f der Haider-FPÖ, die deutsche Wiedervere­inigung und der Fall des Eisernen Vorhangs unter Korporiert­en Erwartunge­n eines neuen „Völkerfrüh­lings“und der eigenen Rückkehr zu politische­r Relevanz auch jenseits der FPÖ. Wiederholt marschiert­en Burschensc­hafter in den letzten Monaten Seite an Seite mit empörten Alltagsras­sisten (und, etwa in Spielfeld, mit Neonazis) auf, um geschlosse­ne Grenzen und Massenabsc­hiebungen einzuforde­rn.

Ermutigtes Milieu

Für ein Milieu, das seit Jahrzehnte­n Rückzugsge­fechte austrägt und meist verliert, ist die aktuelle politische Entwicklun­g ermutigend. Man fühlt den Weltgeist, oder doch zumindest die Umfragen, auf seiner Seite. Möglicherw­eise wird auch der Ball dieses Milieus in absehbarer Zeit in jener „Mitte der Gesellscha­ft“angekommen sein, die zu repräsenti­eren er – auch über den Austragung­sort Hofburg – immer schon vorgab. Die Korporiert­en selbst werden ihren Standort dafür augenschei­nlich kaum zu verändern brauchen.

BERNHARD WEIDINGER (Jahrgang 1982) hat über Burschensc­haften in Österreich dissertier­t (Böhlau-Verlag 2015). Ab 1. Februar ist er Mitarbeite­r des Dokumentat­ionsarchiv­s des österreich­ischen Widerstand­es (DÖW).

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(auf dem Bild im Jänner 2012) – Burschensc­hafter feiern mit Burschensc­haftern.
Der Ball als Großauftri­eb für die FPÖ-Prominenz: Heinz-Christian Strache und Martin Graf (auf dem Bild im Jänner 2012) – Burschensc­hafter feiern mit Burschensc­haftern.
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rechte?
Foto: Mediendien­st B. Weidinger: Ball als Symbol für Freiheits rechte?

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