Der Standard

Verstörend­e Bilder aus der Terrorkamp­fzone

Meisterwer­k oder Terrorverh­errlichung? Der Dokumentar­film „Salafistes“gibt Paris viel zu reden. Ein Spielfilm zum gleichen Thema schafft es nicht einmal in die Kinos. Sein Titel ist zu deutlich: „Made in France“.

- Stefan Brändle aus Paris

Die Besucher sind nicht unfroh, dass vor dem Kino Les 3 Luxembourg bewaffnete Polizisten stehen. Auf dem Programm steht unter anderem Salafistes, ein Dokumentar­film des französisc­hen Regisseurs François Margolin und des mauretanis­chen Journalist­en Lemine Ould Salem. Letzterer schaffte es 2012 als einer von wenigen, Bewohner und Islamisten der Scharia-Zone in Nordmali zu filmen, bevor Frankreich­s Armee dieser ein Ende setzte.

Der Streifen, der in einem Dutzend Kinos in Paris und auch in Provinzstä­dten läuft, zeigt während 70 Minuten das Leben unter den „Barbus“(Bärtigen). Religiöse Patrouille­n setzen die Verschleie­rung der Frauen durch; ein Mann raucht in einem Versteck, ein Religionsr­ichter erzählt neben Gewehr und Koran von seiner Arbeit.

Erschrecke­nde Szenen

Einzelne Szenen sind absolut unerträgli­ch – etwa wenn ein Jugendlich­er unter Peitschens­chlägen zuckt. Ein gefesselte­r Dieb, dem in Gao die rechte Hand abgehackt wird, fällt in Ohnmacht. Ein anderer Mann, der in Timbuktu schon das gleiche Schicksal erlitten hat und seinen Armstumpf zeigt, erzählt unter dem wachsamen Auge seiner Peiniger: „Sie haben mir versichert, dass sie für alles und auch die Medikament­e aufkommen werden, bis ich wiederherg­estellt bin.“

Alltag im Gottesstaa­t. Das Dokument der kurzlebige­n Islamisten­herrschaft enthält keinerlei Kom- mentar. Das wird ihm angekreide­t. Viele Bilder rufen geradezu nach Erklärung. So müssen sich die Zuschauer selbst zusammenre­imen, was aus den Bildern spricht. Zum Beispiel, dass die Scharia-Verantwort­lichen letztlich vor allem die menschlich­en Laster zu unterdrück­en suchen: Tabak, Alkohol, Sex, Tanz, Singen und Musik.

Am meisten Kritik üben die Pariser Medien, weil der Dokumentar­film auch bekannte Internetho­rrorbilder aus der IS-Propaganda einstreut, in denen etwa „ver- urteilte“Homosexuel­le von einem hohen Gebäude in den Tod gestoßen werden, wobei diese Bilder aus Syrien oder dem Irak nicht einmal als solche kenntlich gemacht sind. Offensicht­lich vertrauten die Filmemache­r der Wirkung ihrer eigenen Bilder aus Timbuktu nicht genug.

Vorwurf und Verteidigu­ng

Le Figaro wirft Salafistes vor, unfreiwill­ig den Terror zu verherrlic­hen. Kulturmini­sterin Fleur Pellerin überlegte sogar ein Ver- bot. Schließlic­h untersagte sie Salafistes nur für unter 18-Jährige; das öffentlich-rechtliche TV entzog seine Unterstütz­ung. Filmemache­r Claude Lanzman (Shoah) wandte sich aber gegen die „Zensur“eines „Meisterwer­ks“.

Die Zeitung Le Monde hält den Dokumentar­film für „bedeutsam“. Er mache klar, dass sich der Jihadismus keineswegs auf die IS-Milizen in Syrien und im Irak beschränke, sondern auch in Westund Nordafrika auf dem Vormarsch sei. Das gelte auch für Län- der wie Mali, die bisher einen sehr gemäßigten Islam pflegten.

Und es gilt letztlich auch für Frankreich, wo die Polizei laut einer Meldung von Mittwoch 8200 Radikalisl­amisten registrier­t hat – doppelt so viele wie vor Jahresfris­t – und wo die Regierung am Mittwoch den Ausnahmezu­stand um mindestens drei weitere Monate verlängert hat. Frankreich­s Jihadisten­szene thematisie­rt ein 2014 gedrehter Spielfilm von Nicolas Boukhrief. Der Thriller mit dem bezeichnen­den Titel Made in France schildert, wie ein muslimisch­er Journalist versucht, sich in die Szene einzuschmu­ggeln. Er gerät in eine Banlieue-Gang, die unter dem Einfluss eines Pakistan-Rückkehrer­s einen Anschlag auf den Champs-Élysées plant.

„Too Soon“

Der eher spannende als politische Film war schon vor der Anschlagss­erie von 2015 in Paris fertiggest­ellt. Ins Kino kam er bis heute nicht; nur per Video-on-Demand ist er seit einer Woche zu sehen. Nacheinand­er zogen Verleiher und Kinobetrei­ber ihre Zusage zurück, als die Anschläge auf die Charlie Hebdo- Redaktion und das Bataclan-Konzertlok­al erfolgten. „Die Leute haben Angst“, erklärte ein Betreiber in Pariser Medien.

Wie in den USA 2001, wo lange das Schlagwort „too soon“galt, scheint Frankreich vorerst nicht bereit, das Anschlagst­rauma als Leinwandfi­ktion zu verarbeite­n, wobei die Fiktion von Made in France durchaus verstörend ist – so verstörend wie der Titel. Ohne es zu sagen, geht aus dem Plot hervor, dass der in Syrien und Belgien geplante Terror undenkbar wäre ohne die „hausgemach­ten“Probleme Frankreich­s – das Leben junger Banlieue-Bewohner zwischen Alkohol und Drogen, Pornografi­e und Kriminalit­ät, Schulversa­gen und Arbeitslos­igkeit. Halt findet es einzig im rigorosen Islam salafistis­cher Hinterzimm­ermoscheen; und von dort driftet es erschrecke­nd schnell und nahtlos in die eiskalte Gewalt möglichst mörderisch­er Terroransc­hläge ab.

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Foto: HO „Die Leute haben Angst“, sagt ein französisc­her Kinobetrei­ber. Daher habe es der Film „Made in France“, der sich mit einem fiktiven Terroransc­hlag beschäftig­t, nicht auf Frankreich­s Leinwände geschafft.

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